Novalis – Heinrich von Ofterdingen

(Vorwort zur „Liebhaberbibliothek“ der Edition Neue Moderne, die 2008 vorläufig auf Eis gelegt wurde, weil sie ein anderen Verlag übernehmen wird. Das Projekt wurde bereits für 2010 oder 2011 inauguriert. Alle Bände werden von mir bevorwortet sein.)

Es ist nicht zuletzt von Ludwig Tieck, dem Freund Friedrich von Hardenbergs alias Novalis, bedauert worden, daß dieser sein in der Theorie auf sechs Bände angelegtes „absolutes Buch“ nicht beendet konnte, und doch ist es gerade dieser fragmentarische Charakter, der ja für die romantische Produktion nicht eben selten war und sogar zur Form erklärt wurde, der den Heinrich von Ofterdingen zu eben diesem absoluten Buch macht. Der fragmentarische Roman, der romantische Roman also, ist das unabhängig seiner erreichbaren Länge, ist in sich selbst bereits auf Nichtabschließbarkeit angelegt. Novalis ist nicht selten als der Stammvater der Literatur der Moderne und sogar der Postmoderne ausgerufen worden, auch wegen seiner eingeschobenen Miniaturen, Erzählungen, Märchen und Träume – daher seiner arabesken Grundgestalt. Daß der Roman darüberhinaus eine Liebesgeschichte ist, muß kaum erwähnt werden, doch eben ist er mehr als einerseits ein fragmentarischer Roman und andererseits eine Liebesgeschichte, eine Reise, ein Künstler – also eine Modifizierung des Bildungsromans nach dem Vorbild Goethes, er ist eine exemplarische Reise in die Imagination. Es verwundert daher nicht, daß er trotz seiner Verlagerung ins Mittelalter, eigentlich nichts mit dieser Zeit zu schaffen hat. Es ist, wie jede Imagination, ein zeitloser Effekt, der dem Roman innewohnt, die Stationen der Reise sind keine geographischen, sondern allegorisch-philosophische Orte. Hier wird ein Dichter initiiert, das ist das primäre Anliegen des Romans. Poesie, Krieg, Natur, Geschichte und Liebe sind die Elemente der Dichterbildung und gleichzeitig Formen der Entgrenzung und Vermittlung. Daß uns gerade hier das Symbol der Blauen Blume als Leitmotiv der Sehnsucht begegnet, mit dem Bild der geliebten Mathilde überlagert, verweist nicht nur auf die jenseitigen Gefilde im Roman selbst, sondern bereits auf das Jenseits des Romans als solchen. Die Blaue Blume, die Heinrich am Ende seiner Reise pflücken sollte, wird er nicht pflücken, auch wenn Ludwig Tieck in seiner Rekonstruktion des weiteren Verlaufs das nach dem Willen des Dichters so anmerkt.
Der Roman als solcher enthält kein bestimmtes Resultat – er ist nicht Bild und Faktum eines Satzes. Er ist anschauliche Ausführung – Realisierung einer Idee, sagt Novalis selbst. Daß der Roman schlußendlich nur diese Idee blieb, konnte der Dichter nicht ahnen. Die Durchdringung des Ichs und der Welt mit dem Bewußtsein der Existenz eines unendlichen Reichs der Liebe, des Friedens und der Eintracht – die Idee des Priester-Dichters, dem romantischen Poeten – das hat uns Novalis jedoch hinterlassen, und nicht zuletzt eines der rätselhaftesten Schmuckstücke der deutschen Literatur.

Veröffentlicht von

Michael Perkampus

Michael Perkampus war Moderator der Literatursendung Seitenwind für Radio Stadtfilter in Winterthur. Er ist Autor, Übersetzer und Herausgeber des Phantastikon.