Vladimir Nabokov: Ada oder Das Verlangen

Nabokov schrieb seine Prosa auf die einzige Art wie Prosa geschrieben werden sollte : ekstatisch. Mit der Intensität ihrer Intelligenz und ihrer reflektierten Ironie sind die Romane des großen Autors zu seinen Lebzeiten einzigartig und haben weder ein Vorbild in der amerikanischen noch in der russischen Literatur. Man kann behaupten, dass sehr viele Schriftsteller nicht ohne ihn denkbar wären (nicht zuletzt Thomas Pynchon, der von ihm lernte), dass er selbst aber nur durch sich selbst zu einer unerreichbaren Vollendung fand. Seine Sprache ist von Bildhaftigkeit und Bildung gesättigt. Man hat gesagt, dass Nabokovs Prosa einen Einfluss von Kafka und Proust enthält. Gehört hätte er das nicht gerne, ist er doch im höchsten Grade einzig und allein er selbst. Balzac, Stendhal, Dostojevskij und Mann hielt er für medioker, und Mittelmaß verachtete er. Sein Größenwahn hatte Größe und Substanz, sein Werk ist eines der gewaltigsten der westlichen Literaturgeschichte.

Ada oder Das Verlangen

Der erste und wahre Erzähler bleibt der von Märchen – Walter Benjamin

Eine Ewige Liebe in der Schmelze zwischen Terra und Anti-Terra ist das ein gewaltiges Lebenswerk krönende Meisterwerk Ada oder Das Verlangen (Ada or Ardor i.Orig.), das die an sich bereits typische Dichte Nabokovscher Werke noch einmal ins Extrem treibt. Die Detailversessenheit des Naturwissenschaftlers (quasi Beobachters) wird mit abenteuerlichen, doppel- und dreifachdeutigen Sprachspielen, Wortverdrehungen und Anachronismen ausgeführt und in einem imaginären 19.Jahrhundert ausgelebt, ein Traumland, das Amerussland genannt wird (Estoty) und Kanada, Teile Russlands, Nordamerikas umfasst, in dem man vier Sprachen spricht: Englisch, kanadisches französisch, Französisch und Russisch.
In “Ada” steht das Genießen der Existenz an erster Stelle, es geht um das jähe gegenwärtige Aufleuchten (Glittering Now), das die Textur der Zeit bildet, es geht um den Moment zwischen Momenten, um die absolute und reine Zeiterfahrung, die nur zwischen zwei sukzessiven Bewusstseinszuständen, als Differenz zwischen dem Nicht-Mehr und dem Noch-Nicht erfahrbar ist. Nabokov interessiert sich hier, bei allem was man in den Roman hinein oder heraus lesen möchte, für die Zeit als das eigentliche philosophische Abstraktum, indem er eine Feier des Bewusstseins zelebriert. Doch das tat er stets in seinem Werk, vor nichts graute ihm mehr als vor der “Unbewusstheit”, Freud lehnte er von ganzem Herzen ab.
Der Kritiker Alfred Kazin fasste das Faszinosum “Ada” in folgende Aussage:

Ada kann sogar nach mehrmaligem Lesen in toto nicht überzeugend erklärt werden, und die Leseerfahrung mit diesem Buch kann am besten als Reise und Umhertappen in den Gedankenwelt jenes amerikanischen Genies beschrieben werden, der Vladimir Vladimirowitsch Nabokov heißt.

Das Buch wird dem mehr als neunzigjährigen Van Veen in die Feder gelegt, der sich seiner Liebe zu Ada erinnert. Die Beziehung begann, als Van vierzehn, Ada zwölf Jahre zählte, doch Ada ist auch jetzt, da Van seine Memoiren niederschreibt, nicht fern: munter kommentiert sie hier und da das Geschehen mit. Wer das Buch heute zur Hand nimmt, wird wissen, dass diese Liebesgeschichte eine inzestuöse ist. Doch im Grunde ist dieser “höchste Tabubruch” von keiner Relevanz, Nabokov befreit die Thematik von ihrer Tragik. Am Ende siegt die Unzerstörbarkeit der Liebe, über jeden Moralischen Dünkel erhaben ist sie. Van bringt es zur Sprache, wenn er seinem Vater (der das Verhältnis aufdeckt), erklärt:

Sie war zwölf… und ich war ein männlicher Primat von vierzehneinhalb, und es kümmerte uns eben nicht. Und es ist zu spät, sich jetzt darum zu kümmern.

In erster Linie liegt die schnelle Akzeptanz einer (bei Nabokov ohnehin intelligenten) Leserschaft jedoch an zwei Kunstgriffen: einmal der Idealisierung der Liebesgeschichte, die mehr mit einem Mythos als mit gesellschaftlicher Realität zu tun hat, zum anderen die Vertuschung der Eltern über den wirklichen Verwandtschaftsgrad. Van und Ada finden von selbst heraus, dass sie Geschwister sind, doch zu diesem Zeitpunkt sitzt der Stachel der Leidenschaft bereits fest verankert in ihrem Fleisch.
Die eigentliche Analogie ist jedoch die des ersten Mannes und der ersten Frau, der Entwurf eines eigenen Mythos vom Ursprung des Menschen. Donal E. Morton schlägt vor, folgende Aussage aus “Erinnerung, sprich”- Nabokov’s Autobiografie – heranzuziehen, um sich über die Absicht (zum Beispiel über die Idee Edens oder Arkadiens) hochgestellter Bilder klar zu werden:

Auch gewährt es ein inniges Vergnügen (und was sollte wissenschaftliche Bemühung schließlich anderes gewähren?), wenn man sich das Rätsel der Entstehung des menschlichen Geistes erklärt, indem man eine sinnenfrohe Pause im Wachstum der übrigen Natur annimmt, eine Ruhe und Muse, die erst die Bildung des homo poeticus erlaubte – ohne den der sapiens niemals entstanden wäre. “Kampf ums Dasein”, ach was: Der Fluch des Kampfes und der Plackerei läßt den Menschen wieder zum wilden Eber werden, wirft ihn zurück auf die besessene Futtersuche des grunzenden Viehs… Proletarier aller Länder, geht auseinander: Die alten Bücher irren. An einem Sonntag wurde die Welt erschaffen.

Nabokov widerlegt zwei der bekanntesten Schöpfungsmythen: Die Geschichte der Bibel, nachdem Gott die Welt in sechs Tagen schuf und am siebten Tag ruhte als auch Darwins Evolutionstheorie mit der Vorstellung der natürlichen Selektion. Nach Nabokov sind beide Geschichten in mehreren Punkten falsch, in erster Linie jedoch, weil beide das Aufblühen mit Arbeit, Kampf und Taten gleichsetzen. Für Nabokov war die erste Entwicklungsstufe des Geistes poetische Bewusstheit. Bewusstsein ist die ursprünglichste Eigenschaft des Menschen, nicht Rationalität oder brutale Gewalt. Der Weg zu den Romantischen Theoretikern ist hier nicht weit entfernt: Poesie als Ursprache der Menschheit.

3 Gedanken zu „Vladimir Nabokov: Ada oder Das Verlangen“

  1. >Ich erwarte einen vollständigen Bericht …
    Mögst du eine Blume für mich mit ablegen. Dem Meister sei Huld!

  2. >Du bist poetisch unheimlich gewachsen, Sarina Mira, und mit dir vermutlich alles gleichzeitig um dich herum! – Du bist nun nicht nur Mutter, Dichterin & "Göttin", sondern auch eine Zeitzeugin. Und so lass`et uns alle gemeinsam der Dichtkunst frönen, welcher wir so fern, und dennoch innig verbunden!

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