Vir Desideriorum

Alternierend

Ich kannte Adam, mich warf er in die Brennnesseln, mich stürzte er bei einem Wettrennen vom Rad (auf dem Schotter bluteten die Beine), mit mir betippte er eine kleine, rosafarbene Schreibmaschine aus Plastik. Wohl seine erste. Betriebswohnungen sind wie eingesperrte Küken. Wir schwelten als Futter, wenn auch nur vorübergehend, in den kleinen Dottermägen.

Heike:

Mein ‘Australien an der Wade’ klein wie Madagaskar. Er fand mich nicht mehr auf dem Weg nach Raha, ich suchte ihn nicht, aber die Blätter und Nadeln der Bäume raunten Geschichten. Dass er jetzt eine neue Welt entdecke, sagten sie. Er habe den Gürtel der Welt überschritten, sei der Gilde der pechschwarzen Liebe begegnet und davongekommen.
Ich verstand nicht viel von seinem Gedicht, dass er mir bei stillem Lindenfieder und brausendem Sekt in der Badewanne vorgelesen hatte. “Du wirst immer Falter sein, wehe dem Mond!” Vir Desideriorum. Ein Titel wie blanke Ferne, Mann der Sehnsucht. Nicht homme de lettres, nein, Vir Desideriorum. “Ich bin doch nicht einer, der sich mit dem Vorhandensein zufrieden gibt!” Wir tranken damals leise, nicht auf dem Weg, sondern bereits auf der breiten Kreuzung stehend. Ich blieb auf der großen Straße, er aber schlug sich ins Gebüsch. Allzufrüh hätte ich ihn geliebt ohne seine Attacken, die nicht meine Niedergeschlagenheit beabsichtigten, die nur etwas verhindern wollten, nicht aber, dass wir hier saßen verhindern konnten. (Ich erinnere mich nur, weil du es nicht vergessen hast). – Bei den Langbooten aus Kunststoff-Harz fing ich mir die erste Berührung ein, die Brennhaare, die Methansäure des jähen Zorns. Mit dem Rad sollte ich das Rennen nicht gewinnen, beim ersten Mal aber wollte er mich dominieren. Wie hätte er gehandelt, wenn er auch nur geahnt hätte, dass ich die erste sein werde, die seine Federn zählt? – Die erste, die Spaß daran hat, alles in Bewegung zu setzen (die Beine, die Füße, den Mund). Vir Desideriorum; aber ich war nicht die erste, die das bemerkte.

Dorn:

“Sie hat es mit einem Stift getan!” (Sie beschrieb sich als fordernd). Forderte in den Sommerferien 1981 ihr Geheimnis ein, zeigte sich wie eine Nümfe in berechneten Frakturen auf einem Sommerstuhl, wo gerade die Cousins schlenderten und flache Steine auf der Eger hüpfen ließen – nicht sehr konzentriert – ein Stein sank. Sie betrachteten verstohlen die weiße Haut ihres abgelegten Badeanzugs.

Heike:

“Es war ein Unfall. Ich wollte nur mit dem Stift beschreiben, was ich nicht sagen konnte.”
Und Adams Tinte war die erste Tinte, die ich sah, und in mir lähmte sich ein Nerv (oder lähmte mich der Stift). Ich konnte mich, festgenagelt an das Bett, erinnern, wie ich vom Rad flog, wie ich in die Brennnesseln fiel – und wie ich auslief. Erst Blut, dann Tränen, dann seine Tinte, die ich in mein Hemdchen schmierte – in die Innenseite, damit niemand auf die Idee käme, mich danach zu fragen. Ich klebte an ihm fest und konnte es nicht vermeiden, jeden Tag erneut durch sein Fenster zu krabbeln, um seinen ganz und gar aufrechten Stift zu berühren. Es ging alles viel zu schnell, schon stürzte ich. “Das kann doch nicht alles gewesen sein!” – Zeigte ihm die Narben an den Beinen. Kleine beginnende Monde, neue Monde, vergehende Wunden von vor Jahren, als wir der Definition nach noch sächlich waren. Das Muttermal nannte er ‘Australien an der Wade’, denn so sah es aus. Wir holten einen Atlas hervor und sahen nach. Ein tiefer dunkler Impuls ließ mich jede Nacht mit ihm gehen, damit er sich ausprobieren konnte. Ich lag da und starrte zur Zimmerdecke. Sobald ich alles in mir hatte, brachte er mich wieder zurück. Jeden Tag wusch ich meine Kleider selbst und dann entdeckte mich die Geliebte meines Vaters dabei, wie ich mein Höschen ausleckte – ein dunkler, tiefer Impuls. Von da an durfte ich Adam nicht wiedersehen, kam in ein Internat und lernte die Dinge neu, blieb auch der Erinnerung fern für allezeit.
Die ersten Dinge, wenn keine Erwartung die Erfahrung trübt, wenn alles ohne Zutun, ohne Tatkraft, ohne Ordnung in das Leben bricht, wenn eine süße Gewalt die Ohnmacht steuert. Ich brachte ihm Tee an einem einzigen Tag. Heute würde ich an ihm vorübergehen, heute würde ich ihn ansehen und nicht wissen, wer er geworden ist. – “Wo kommst du her?” – “Aus Raha.” – “Wer lebt in dieser Stadt?” – “Unveränderlich wir.” – Die nur Spuren witterten und zur Tränke gingen. Dort badeten wir, die weiße Haut ausgelassen von der Sonne.

Adam kannte die Nächte dieser weißen Flecken, Adam kannte das Mauerwerk ohne Putz. Fünf Gärten für die Sinne: Eden, Garten der Hesperiden, Garten des Alkinoos, Olymp und Asgard. Schändlich, wer sich gefangen gibt, und sei es im Namen des allgemeinen Nutzens. “Ich setze all meine Erwartung einzig in meine Ungebundenheit, in diesen Drang, mich treiben zu lassen, um allem zu begegnen. Ein Drang, der eine Gemeinschaft zwischen mir und den anderen ungebundenen Menschen herstellt, als wären wir berufen, uns plötzlich zu vereinigen.” (Mit dem Mund, den Füßen, den Händen). “Ich werfe keinen Schatten mehr. Wer mich betrachtet, betrachtet mich an der Wand.” – “Ich kannte dich in diesen Sommerstunden, der mich aus den Nesseln hob, der mich im Schotter liegen sah.”

Komme dem Gedanken nahe
Vorne bei der Luke Rund
(Wo du mit deinem Mund gezeugt Pfingstrosenblüten)

Marumare mara mera Meer omare marn ama rumor umeer immer im Meer im usean, ich wiege nicht, mit Herze nicht, ich trieb in dich den Pfahl im Licht, ich sann wie mir die Zeit verging, wie ich dir an den Lippen hing, wie ich in deinen Säften schwamm, wie mir der neue Tag begann, klabauter an den Wänden lang.