Es ist immer schön, wenn man von Kollegen wahrgenommen wird, die man selbst schätzt. In diesem Falle hat sich Ursula nun den Guckkasten ebenfalls zu Gemüte geführt … und ihr schien es gut bekommen zu sein.
M.E.P.
„Ich habe das grösste Urinfass weit und breit“
Guckkasten. 21 Fazetien – Michael Perkampus / Taberna Kritika
Kurz sind diese heiteren, aber alles andere als harmlosen Schelmenstücke. Breit sind die Aggregatszustände, von fäkal bis ektoplasmatisch oder gar beides in einem. Tief ist die Zeit: vom Göttergelage bei Lykaons Wolfwerdung (das ist aber nicht der Anfang) über lustwandlerische Jagdpartien in noch nicht allzu langherigen Aristokratenschlösschen bis zum urbanen Neon, das auf eine Leiche im Kofferraum fällt (das ist aber nicht das Ende!). Die Auftretenden sind – um nur einige wenige zu nennen – in alphabetischer Reihenfolge: adlige Strümpfe, alte Damen, Busse und Büssinnen, Büsten, Goethe wie er heut noch leibt, Neugeborene in Blutlachen, sadistische Clowns, Schweineskelette, sorgfältig ausgewuchtete Butler, Troubadoure, unschuldige Burschen; ach, einfach alle, alle sind versammelt! Länge, Breite und Tiefe des Stilregisters sind es jedoch, die dem Hörer das grösste Vergnügen bereiten: diese Kranichflüge, dann kabumm! die wohlkalkulierten Abstürze, nur um gleich wieder aus dem Dreck abzuheben in lichte Abendhimmel!
Dass derart komplexe Konstruktion und Komposition in (teils natürlich nur scheinbar) ungebundener Sprache im mündlichen Vortrag nicht zerbröseln, sondern so erst ihre volle Wucht entfalten, ist eines der erstaunlichsten und prägnantesten Merkmale der Dichtung von Michael Perkampus. Das Wagnis, einige Erzählerstimmen und Dialoge anderen Sprechern anzuvertrauen, hat sich ausgezahlt; gerade das Groteske und Satyrhafte gewinnt dadurch noch an Farbe und Schärfe. Im Tonstudio waren Meister am Werk. Akustische Effekte werden dezent, hin und wieder auch im einzig richtigen Moment penetrant, eingesetzt.
Ein exquisiter Hörgenuss, wobei wie immer, wenn etwas den Namen Literatur verdient, das Ungeniessbare unvergessen bleibt. Diverse Wahrheiten ausserdem. Solche, die man anderen gern ins Konkave der Stirn nageln würde („Niemand weiss, was Schwerkraft überhaupt ist“). Und solche, die man jemals zu hören vergeblich hofft („Ich erkenne dich immer“). Und auch solche, die man wasserfest auf den eignen Nachttopf schreibt, um in makabres Gelächter auszubrechen, wann immer es das Überleben erfordert („Ich habe das grösste Urinfass weit und breit!“).
„Guckkasten“ – ein merkwürdig unperkampesques Understatement. Oder eben grade! Ist ja wohl eher ein Weitwinkelkaleidoskop, verdammt.
Ursula Timea Rossel