Ein absolutes Buch

Mallarmé, der uns eine völlig neue Dichtung brachte, träumte von einem absoluten Buch, das er nie schrieb. Vielleicht aber war der Charakter des Werkes, zu dem er uns hunderte von Zetteln und Motiven hinterließ, das Scheitern. Einerseits das Scheitern am Schweigen, denn er erzählt uns, wie das Buch beschaffen sein sollte: aus losen Blättern, die bei jeder Lektüre so angeordnet werden sollten, dass ich immer ein anderer Text ergibt. Er erzählt uns von seinen Zweifeln; Fragmenten. Er hinterläßt uns Satzfetzen – das Buch aber schreibt er nicht. Er kann es nicht, denn er scheiterte nicht nur am Schweigen sondern ebenfalls am Werk, das er mit dem der Alchemisten vergleicht. Dem Dichter kann es immer nur um den Prozeß gehen. Das Ergebnis ist völlig belanglos. Genau dieser Prozeß aber, der ein Ergebnis außer Acht läßt, schneidet den Poeten von der Welt ab.

Wie sie einst im “Grenier” miteinander diskutierten, meinte Zola zu Mallarmé, daß in seinen Augen ein Dreck und ein Diamant gleichviel wert seien. — “Kann sein”, antwortete Mallarmé, “aber der Diamant ist — seltener.” Degas ließ es sich nicht nehmen, Mallarmés Poesie zur Zielscheibe verschiedener boshafter Witze zu machen.

“Opfer, beklagenswertes, seinem Los geweiht…”

So erzählte er zum Beispiel, wie Mallarmé seinen Jüngern einst ein Sonett vorgelesen habe, worauf diese in ihrer Bewunderung das Gehörte in Worte zu fassen versucht und es, jeder auf seine Weise, interpretiert hätten: die einen sahen darin einen Sonnenuntergang, die andern den Triumph der Morgenröte; Mallarmé erklärte ihnen: “Aber ganz und gar nicht… es ist meine Kommode.”

Veröffentlicht von

Michael Perkampus

Michael Perkampus war Moderator der Literatursendung Seitenwind für Radio Stadtfilter in Winterthur. Er ist Autor, Übersetzer und Herausgeber des Phantastikon.