Robert Aickman – Das Hospiz

Marvin Keye schrieb in seinem Vorwort zur Anthologie “Masterpieces of Terror and the Supernatural”, die er herausgab, daß er zunächst zögerte, die Geschichte “The Hospice” (dt. “Das Hospiz”) in die Sammlung aufzunehmen, weil er nicht herauszufinden im Stande war, was sie aussagen wolle.
Man liest die Geschichte sechs oder sieben Mal (vielleicht auch öfter), und kommt immer noch nicht dahinter. Das aber ist genau das, was sie beabsichtigt. Die besten Geschichten sind jene, die ins Unterbewußtsein kriechen und flüstern und rätselhaft bleiben. Sie führen uns in die Dunkelheit und lassen uns dort allein. Vielleicht finden wir wieder heraus, vielleicht auch nicht. Viele Geschichten von Kafka funktionieren so, viele von Cortàzar tun es ebenfalls – und natürlich die meisten von Aickman. Aber Aickman ist keineswegs ein Avantgardist, der krude Rätsel für seine Leser zusammenspinnt. Das Hospiz ist in einer einfachen Sprache gehalten, fast flach, mit einem Minimum an Erschütterung und Bewegung: Ein Reisender verirrt sich auf einer Straße irgendwo in den West Midlands, kommt durch eine Siedlung, die aussieht wie im 19. Jahrhundert, mit hohen Bäumen und einsamen Häusern, sieht das Hinweisschild, das gutes Essen und andere Annehmlichkeiten verspricht, außerdem hat er fast kein Benzin mehr. Zu allem Überfluß wird er auch noch von etwas, das eine Katze gewesen sein könnte, ins Bein gebissen, als er kurz aussteigt, um sich grob zu orientieren. Diese Biß, der sich vielleicht entzünden könnte, spielt im weiteren Verlauf nur die Rolle, daß er da ist und schmerzt. Das ist die erste Irreführung der Erwartungshaltung.
Im Hospiz wird er freundlich aufgenommen und kommt gerade richtig, um am Abendessen teilzunehmen. Die Schilderungen und Geschehnisse sind immer nur knapp neben einer gewohnten und erwarteten Reaktion, einer bekannten und nachvollziehbaren Szenerie, aber sie treffen niemals das Bekannte, das jemals Erlebte.
Ihm wird also das Essen in mehren Gängen serviert, die exobitant sind, gewaltig und unbezwingbar – und damit beginnt ein merkwürdiger Reigen, der sich zwar niemals ins Groteske zieht, aber einiges aus der Atmosphäre des Theater des Absurden schöpft.

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