Interview geführt von Matt Cardin, July 2006
Published in The New York Review of Science Fiction, Issue 218, Vol. 19, No. 2 (October 2006)
Übersetzt von Michael Perkampus
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Künstler: Sergiy Krykun |
MS: Vielen Dank, daß du dir Zeit genommen hast, Tom. Fangen wir doch mit ein paar Fragen zu deinen Schreibgewohnheiten an. Das ist ein Thema, das mich schon immer interessiert hat.
Du bist nun seit drei Jahrzehnten als Schriftsteller tätig. Ich weiß, daß der Schreibprozeß für dich stets nervtötend, qualvoll oder beides war. Du hast mehrfach gesagt, daß du einer jener Schriftsteller bist, die das Ergebnis mehr schätzen als das Schreiben selbst. Mehr als einmal wolltest du damit aufhören, nur um etwas zu haben, zu dem du zurückkehren kannst. Was genau geht da vor sich? Was ist es, dem du dich nicht entziehen kannst, wenn sich ein neues Projekt ankündigt? Mich interessiert natürlich auch, wie sich dein Schreibprozeß im Laufe der Jahre verändert hat.
TL: Das wird eine langweilige Antwort, weil ich nichts literarisches darüber zu sagen habe. Es ist alles eine Frage des persönlichen Zustands. Das Schreiben war in den späten Siebziger- und Achtzigerjahren nicht schwer für mich. Es gab eine Zeit, von 1975 bis 1979, in der ich zu meiner Panik- und Angststörung auch noch schwer depressiv war. Jeder Tag war grau. Jeder einzelne Tag. Ich dachte, mein Leben wäre vorbei. Aber ich war jung, also begann ich in dieser Phase, ernsthaft zu schreiben. Die Jahre vergingen und ich schrieb eine schlechte Geschichte nach der anderen. Dann schrieb ich “The Last Feast of Herlequin”. Der Protagonist dieser Ezählung ist depressiv. Sie war wirklich sehr schlecht, aber auch nicht so schlecht, daß ich sie vernichten wollte. Ich legte sie in eine alte Bierkiste, die ich dazu nutze, meine Schreibereien zu archivieren. Jedesmal, wenn ich sie wieder überflog, dachte ich darüber nach, wie ich die guten Parts von den schlechten befreien könnte.
In der Zwischenzeit begann ich Geschichten zu schreiben, die in Zeitschriften mit geringer Auflage herauskamen. Es dauerte mehr als zehn Jahre, nachdem ich “Last Feast” geschrieben hatte, als ich endlich dazu fähig war, diese eine Geschichte zu überarbeiten. Etwa zu dieser Zeit entwickelte ich wegen des Stresses, den ich hatte, ein Reizdarm-Syndrom. Ich rollte mich unter Darmkrämpfen auf dem Boden der Notaufnahme. Wer das witzig findet, der soll mal seinen Arzt fragen.
Das und meine fortschreitende Panik-Angststörung, kombiniert mit dem Älterwerden, machte meine Arbeit zu einem echt harten Kampf. Das wurde dann auch die Grundlage für den “Teatro Grottesco”- Zyklus. Ich hatte noch weitere Geschichten, die ich schreiben wollte, also schrieb ich sie. Aber immer wenn ich schrieb, endete das in einem Zustand äußerster Erregung und mein Gedärm war drauf und dran, mich umzubringen. 1991 beschloß ich, das Schreiben an den Nagel zu hängen. Irgendwas mußte ich jedoch tun, also habe ich angefangen, Gitarre zu spielen: Sachen aus meiner Jugend, Sachen aus den 70ern. Ich dachte, das wäre wesentlich weniger anstrengend.
Ich wurde ein richtiger Streber, stellte aber fest, daß es eben doch nicht leichter war als zu schreiben.
Es war so um 1993 herum, als die Firma, für die ich arbeitete, eine Umstrukturierung durchlief; nicht die erste. Ich denke an diese Jahre als eine Zeit, in der die Leute, die in Büros arbeiteten, ihr Potential, Arschlöcher zu sein, entdeckten. Diese Umstrukturierung mit ihrern eklatanten Dummheiten und “Körperfresser-Mentalität” (hier im Original: Pod-People-Mentality, zurückgehend auf “Invasion of the Body Snatchers”) störte mich so sehr, daß ich die Geschichte “The Nightmare Network” schrieb. Nun schrieb ich also wieder und spielte obendrein noch Gitarre.
Die Situation während der Arbeit blieb durch Irrsinn und Pathos angespannt. Ich schrieb also eine weitere Unternehmens-Horrorstory: “I Have A Special Plan For This World”. Meine Mitarbeiter fürchteten bereits, ich würde überschnappen und Amoklaufen. Aber in diesem Stadium war ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, zumindest nicht vor dem Jahr 2000. Dann aber wurde ich von Gewaltphantasien beherrscht. Das war der Anstoß zu “My Work Is Not Yet Done”. Ich habe versucht, den Geschichten etwas mehr Bedeutung zu geben als einfach nur Rache, über die es sich eigentlich nicht zu schreiben lohnt. Ich schrieb noch zwei weitere Wirtschafts-Horrorgeschichten. Meine Geschichten als solche zu bezeichnen, ist meine Art, die Wahrnehmung meiner Leser auf einen Punkt zu richten, wobei ich hoffte, daß sie mehr sind, als einfach nur Arbeitsleben-Horror.
“I Have A Special Plan For This World” handelt zwar im Wirtschafts-Millieu, aber wie bei meinen anderen “Wirtschafts-Horrorgeschichten” schwebte mir eine breitere Perspektive vor, gerade in Bezug auf Dinge, die mir wichtig sind: Hauptsächlich das Fiasko und der Alptraum der menschlichen Existenz. Das Gefühl, daß die Menschen Marionetten von Kräften sind, die sie nicht verstehen können usw. Diese Themen treten naturgemäß dann in den Vordergrund, wenn ich selbst intensive und unangenehme Episoden erlebe. Schmerz ist meine Muse, so kann man das sagen.
Bis zum Jahre 2001 war mein psychischer Status der einer bipolaren Depression. 2002 wurde sie einen Monat lang von einer hypomanischen Phase unterbrochen. Während dieser Zeit schrieb ich zwei weitere Geschichten: “Purity” und “The Town Manager”, die durch meine Wut auf die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in Amerika zu dieser Zeit ausgelöst wurde. Die wenigen Sachen, die ich seitdem geschrieben habe, wurden in so einer hypomanen Phase geschrieben, gegen die ich im Moment Medikamente nehme, zusätzlich zu dem anderen Zeug, das ich schlucke. Ich denke also, es gibt ein nachvollziehares Muster, das mich zum Schreiben drängt, nämlich Haß und Schmerz. Beide wirken als Sprungbrett für die Themen meiner Geschichten. Ich hoffe, daß es mir auf diese Weise gelingt, meine momentane Existenz zu transzendieren und meine Einstellung darüber mitzuteilen. Das mag den Leser interessieren oder nicht, aber es ist der eigentliche Grund, warum ich schreibe.
MC: Hat dir das Schreiben überhaupt jemals Freude bereitet? Du sagtest mal, als du damit angefangen hast, machte es dich High wie die Drogen, die du nimmst, allerdings ohne die negativen Auswirkungen. Ist das noch der Fall? Oder handelt es sich dabei heute mehr um ein Ablaßventil für negativen inneren Druck? Oder womöglich beides?
TL: Das Schreiben hat mir schon immer mehr Zufriedenheit als Freude bereitet. Ich habe das Planen einer Geschichte immer mehr genossen als die Niederschrift selbst. Ungeschrieben stcken in der Story noch unbegrenze Möglichkeiten. Ich versuche, die Elemente nicht allzu schnell auszuarbeiten, weil jede feststehende Idee, jeder Charakter, jede Einstellung usw. Stück für Stück diese Möglichkeiten vernichten. Weil es diesen Effekt nun einmal gibt, skizzierte ich die Charaktere in “My Work Is Not Yet Done” anders als sie dann in der Geschichte agieren.
MC: Eine Menge moderne Pop-Autoren bemühen immer wieder die alte Leier, daß zuerst”die Geschichte” kommt. Ich glaube, Stephen King hat das sehr oft gesagt. Auch sind viele Literaten mit dieser Aussage einverstanden. “Für mich” sagte Bernard Malamud einmal “zählt die Story, Story, Story.”
Ich erinnere mich, daß du in der Vergangenheit, auf das fast völlige Fehlen von Handlung in deinen Geschichten angesprochen, antwortetest, du hätten nie verstanden, wovon deine Leser da reden; du dachtest stets, in deinen Geschichten stecke genausoviel Handlung drin wie in jeder anderen auch. Wenn ich an deine vielen kurzen imressionistischen – oder auch an deine offen experimentellen Stücke – denke, wie zb. “Notes on the Writing of Horror”, aber auch “Ghost Stories For The Dead”, in welchen eine beängstigende philosophische Spekulation im Vordergrund steht, und die eigentliche Geschichte – oder der Plot- auf eine fast unterschwellige Art und Weise daherkommt, dann verstehe ich persönlich schon, was sich deine vielen Leser für Fragen stellen. Und ich bin sicher nicht der Meinung, das Zweitrangige der Handlung sei ein Nachteil. Ich denke, all diese Schriftsteller, die eine Universallösung auf Grundlage des “die Geschichte zuerst” anbieten, sprechen da von ihren persönlichen Vorlieben. Sie sind wahrscheinlich selbst diese Art von Leser, die in Geschichten schwelgen, und wenn sie dann ihre eigenen schreiben, ist das ihre Herangehensweise. Was hältst du von alldem?
TL: Dem stimme ich zu. Es scheint mir natürlich, daß Leute, die Geschichten mögen, wenn sie denn Schriftsteller sind, auch Geschichten schreiben. Was mich betrifft, interessieren mich Geschichten, die nur Geschichten sind, nicht. Ihnen fehlt etwas. Was mir dabei fehlt, ist die Anwesenheit des Autors, oder, genauer: das Bewußtsein des Autors. In den meisten Romanen befindet sich der Autor in einem Raum zwischen den Charakteren und der Szenerie, aber ich möchte den Autor im Vordergrund wissen und den Rest im Hintergrund.
Abgesehen von den Stories, die du erwähnt hast, glaube ich, daß meine Erzählungen Geschichten in Hülle und Fülle enthalten. Aber das sind nur Vorwände, Garderoben, an die ich das hänge, was wirklich wichtig für mich ist, und das ist meine eigene Sensibilität. Das ist alles.
Die meisten Autoren lieben es, andere Menschen zu beobachten und sind mit dem Leben, das sie vorfinden, zufrieden. Darüber machen sie dann eine Geschichte. Sie achten wirklich auf die Welt um sich herum. Das alles kann ich tatsächlich nicht. Ich interessiere mich nicht dafür, wie die Leute ticken, oder, wie Sherlock Holmes sagte: Ich sehe es, aber ich beachte es nicht.
Es scheint mir trivial und nutzlos, die Aufmerksamkeit auf solche Dinge zu lenken. Ich bin am physikalischen Universum nicht mehr interessiert. Die rhetorische Verzückung der Wissenschaftler beeindruckt mich nicht im geringsten. Ich kann nicht verstehen, warum sich jemand dafür interessieren sollte, wie das Universum begann, wie es funktioniert und wie es enden wird. Äußerst trivial und nutzlos. Im Gegensatz dazu habe ich Ehrfurcht vor Schriftstellern, die ihre Geschichten geschickt zu erzählen wissen, oder vor Leuten, die eine Fremdsprache beherrschen oder ein Instrument wirklich virtuos spielen. Aber das bedeutet nicht, daß ich ihre Geschichten lesen will, ihnen zuhören oder Musik machen möchte. Wie sagt Morrissey in dem Smiths Song “Panic”: “Weil die Musik, die sie die ganze Zeit laufen lassen, mir nichts über mein Leben sagt.”
Die Arbeit von Schrifstellern wie Malamud, Wiliam Styron, Saul Below sagt mir nicht nur nichts über mein Leben, sie sagt mir auch nichts über das, was ich selbst erlebt habe oder über meine Gedanken zum Leben. Im Gegensatz dazu sagen Schriftsteller wie Jorge Luis Borges, H.P. Lovecraft und Thomas Bernhard eine Menge über mich und das Leben ganz allgemein, wie ich es auch erfahren habe. Ich kann an ihrem Werk teilhaben, weil sie genauso gedacht und gefühlt haben müssen, wie ich es tue. William Burroughs sagte einmal, der Job eines Schriftstellers sei es, den Lesern zu zeigen, was sie wissen, aber nicht wissen, daß sie es wissen. Aber dazu müssen sie schon sehr dicht am Wissen dran sein, weil sie es sonst nicht wissen wollen, wenn sie es sehen.
MC: Wieviel Augenmerk richtest du auf die poetische Qualität deiner Prosa? Ich spreche von Satzrhythmus, von Klang und all dem. Ich erinnere mich dabei an Raymond Carver, der sich an die Zeit zurückerinnerte, als er noch der Student von John Gardner war. Gardner hatte seine Prosa in mühevoller Kleinarbeit analysiert, Zeile für Zeile – und legte Wert darauf, sie skandieren zu können wie es bei Gedichten üblich ist. Hast du für das Schaffen solcher Effekte ebenfalls ein Auge/Ohr durch den Einsatz kunstvoller Sprachtechniken? Oder geht es dir eher um die Grundstimmung?
TL: Sofern ich nicht den Stil eines Schriftstellers wie Bruno Schulz oder Thomas Bernard nachahme, folge ich dem Ton, den ich im Kopf habe. Der gibt mir den Rhythmus und die Geschwindigkeit vor, die ich haben will, macht die Geschichte für die Aufnahme aller Bauteile bereit, die ich verwenden möchte, hauptsächlich sind das Metaphern.
Ich kann mir nicht vorstellen, einen anderen Schriftsteller derart zu untersuchen, aber Gardner war ein Gelehrter der Mittelenglischen Literatur. Für Carver, der eine Art Blankvers schrieb, war diese Betreuung wohl sinnvoll. Das Problem, zu sehr darauf zu achten, wie die Arbeit im Englischen klingt, ist, daß man keinen Einfluß darauf hat, wie es sich in der Übersetzung anhört. Es mag sich sehr exzentrisch anhören, aber in einer frühen Phase meiner schriftstellerischen Tätigkeit wurde mir bewußt, daß bestimmte Wortspiele in einer anderen Sprache nicht funktionieren würden. Das lernte ich aus meiner Begeisterung für Vladimir Nabokov. Also hörte ich auf, zu viel von diesen Wortspielen zu verwenden. Das ist schwierig, weil Wortspiele mir ganz natürlich in den Sinn kommen.
Das Problem ist: wenn ein Wortspiel nicht beim Leser ankommt, ist es Zeitverschwendung. Ich habe die Doppeldeutigkeiten und mehrsprachigen Wortspiele in vielen Büchern Nabokovs analysiert, und es ist nicht das, was ihn als Schriftsteller auszeichnet. Was ihn interessant macht, ist seine eigenwillige Persönlichkeit, seine Besessenheit von Tod, von Schaden, von Verlust und all den üblen Dingen, die den Kern der Literatur ausmachen, die allerdings bei Nabokov besonders ausgeprägt sind.