Matt Cardin: Interview mit Thomas Ligotti (3. Teil)

Interview geführt von Matt Cardin, July 2006
Published in The New York Review of Science Fiction, Issue 218, Vol. 19, No. 2 (October 2006)

Übersetzt von Michael Perkampus

1. Teil
2. Teil

MC:  Dann vielleicht etwas leichtere Kost, wenn das in Ordnung geht. Vor Kurzem kamen Gerüchte auf über eine geplante Serie von Comics auf der Basis von “Nightmare Factory”. Das war eine angenehme Überraschung. Kannst du da Details verraten?

TL: Nein, kann ich nicht. Ich weiß nicht mehr als alle anderen auch, die die Werbeanzeigen gelesen haben. Fox Atomic, das Filmstudio, das diese Comics in Zusammenarbeit mit Harper-Collins macht, hat mich zu dem Projekt, das von “The Nightmare Factory” abgeleitet ist, nicht hinzugezogen.

MC:  Während wir hier sprechen, befindet sich der Kurzfilm zu deiner Geschichte “The Frolic” in der Postproduktion. Angeblich bist du recht glücklich mit dem, was du gesehen hast. Kannst du darüber mehr sagen?

TL:  Der letzte Stand, den mir die Produzentin Jane Kosek mitgeteilt hat, ist der, daß sie den Hauptverantwortlichen von Fox Atomic kontaktierte. Er will den Kurzfilm zusammen mit der Gliederung für einen Spielfilm von mir und Brandon Trenz (Anm.: Brandon Trenz arbeitet als Drehbuchautor) sehen. In einem Monat sowas dürften wir soweit sein.
(Anmerkung: “The Frolic” erschien 2007, produziert von Jane Kosek, die unter anderem bei “A Beautiful Mind” mitarbeitete. Der Film läuft 24 Minuten und wurde zusammen mit dem Buch (entält die Kurzgeschichte)  in einer auf 1000 Exemplare limitierten Special Edition herausgegeben, die teilweise signiert war.)

MC: Kannst du etwas zur Entwicklung des Drehbuchs zu “Last Feast Of Herlequin” sagen?

TL:  Das Drehbuch wurde an viele Produzenten geschickt und einige Companies zeigten auch Interesse. Brandon Trenz ging sogar extra nach Hollywood, aber bei den Treffen kam nichts heraus. Offiziell ist das Projekt gestorben.

MC: Diese Neuigkeiten sind natürlich enttäuschend. Was ist mit deinen gegenwärtigen Schreibprojekten?
Arbeitest du an etwas? Und wenn ja, wann können wir mit einer Veröffentlichung rechnen?

TL: Ich weiß ja nicht mal, wann “The Conspiracy” erscheint.

MC: Welche Bücher und Autoren liest du im Augenblick? Du hast vor einiger Zeit mal gesagt, du seist mit dem Lesen an sich zum größten Teil durch, weil du das meiste von dem, was dich interessiert, schon gelesen hast. Wie sieht das im Moment aus?

TL: Wenn ich irgendetwas lese, dann sind das Sachbücher. Ich lese auch regelmäßig alles von M.E. Cioran wieder. Das braucht dann eine Weile. Einige Arbeiten über Bewußtseinsstudien und, natürlich, geistige Erkrankungen. Das ist ziemlich fachspezifisch, also suche ich nach Videos, Hörbüchern oder Interviews mit den jeweiligen Autoren im Netz. Im vergangenen Jahr las ich “On Suicide: A Discourse on Voluntary Death” von Jean Améry und “Persuationand Rhetoric” von Carlo Michelstaedter. Beide Autoren brachten sich um, aber ihre Bücher wären auch dann interessant, wenn sie das nicht getan hätten. Ich lese auch immer noch Bücher über Buddhismus.

MC: Mir erscheint dein Wechsel Richtung Sachbuch aus persönlichen Gründen faszinierend, da ich mich selbst vor Jahren darauf zubewegte, wenn auch nicht freiwillig. Ich begann einfach zu merken, daß ich die meiste Zeit nicht mehr dazu in der Lage war, der Erzählliteratur zu folgen. Es kam mir vor, als ob etwas in mir meine Empfänglichkeit dafür abgeschaltet hätte. Ich traf da auf einen mentalen Nebel, eine Art kognitiver Leere, wenn ich versuchte, denn Sinn der Erzählung auszumachen. Für mich schien diese Art der Literatur bedeutungslos. Kommt dir das bekannt vor?

TL: Na, das kommt mir sicher bekannt vor. Ich kann mich gefühlsmäßig nicht mehr auf Erzählungen oder Dichtung einlassen. Das ist der Grund, warum ich Sachbücher lese, und vor allem intellektuell herausfordernde Sachbücher.
Man reagiert auf diese Literatur ganz anders, weil sie hauptsächlich für den Kopf da ist und nicht die Gefühlsebene anspricht oder die Imagination. Komischerweise ist das die gleiche Erfahrung, die ich mit Filmen oder Fernsehsendungen mache. Sie fordern keine Einfühlung oder Vorstellungskraft, um unterhaltsam zu sein. Mein Zustand kann sich ja buchstäblich in einer Sekunde ändern und ich möchte diese Lektion nicht noch einmal durchmachen. Das hat in den letzten fünf Jahren nachgelassen. Zu den Zeiten, die ich schon erwähnt habe, geriet ich in hypomane Zustände, in denen ich alles Mögliche machen wollte und auch den Schwung dazu hatte. Aber das dauerte nur einige Wochen oder vielleicht einen Monat lang an. Danach kam dann die Depression heftiger zurück als zuvor. Ich nehme ein Medikament names Lamictal (Anm.: Lamotrigin). Das ist ein Antiepileptika, das Psychiater anstelle von Lithium gegen bipolare Störungen oder bei behandlunsgresistenten Depressionen anwenden. Idealerweise wirkt das Medikament so, daß du nicht ins Bodenlose fallen kannst, aber dich eben auch nicht unendlich gut fühlst. In dieser Mitte bewege ich mich jetzt. Der einzige Grund, warum ich so ins Detail gehe ist der, daß jemand, der das liest, weiß, wovon ich spreche und sich vielleicht dafür interessiert. Bei allen anderen muß ich mich entschuldigen.

MC: Was ist mit Filmen? Hast du in letzter Zeit welche gemocht? Oder gehasst?

TL: Einige erwähnenswerte Filme, die ich in letzter Zeit grauenhaft fand, waren Spielbers “München” und Woody Allens “Match Point”. Ebenso “Mission Impossible 3″. Zu dieser Liste kannst du noch den französischen Film “Caché” hinzufügen, das ist der schlechteste Film, den ich jemals gesehen habe. “Das Mädchen aus dem Wasser” habe ich nicht gesehen, aber ich weiß, daß er scheiße ist, weil die Macher einfach nicht gut sind. Das beste Beispiel ist “The Sixth Sense” – ein Schwindel von Anfang bis Ende.
Üblicherweise sind die Filme, die ich mag, Schund oder ignoriert wie “Mann unter Feuer” mit Denzel Washington oder “Sag kein Wort” mit Michael Douglas. Kürzlich lieh ich mir Filme aus, die ich schon tausendmal gesehen habe.
Horror Filme: Wolf Creek, scheiße; Hostel, scheiße; The Devil’s Reject, sehr lustig und clever; das Remake von The Hills Have Eyes, scheiße. Das mag sich idiotisch anhören für manche Horror-Film-Freaks, aber ich habe wirklich eine gute Meinung von den beiden Final Destination – Filmen. Ich lieh mir also den dritten Teil aus, und was soll ich sagen: echt mies. Ich bevorzuge Filme, in denen es um verlorene Existenzen geht. Das ist der Grund, warum ich Romeros Zombie-Filme so reizvoll finde. Von Anfang an ist dort alles hoffnungslos.

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2 Antworten auf Matt Cardin: Interview mit Thomas Ligotti (3. Teil)

  1. Hammer-Interview! Wie schön wäre es, wenn noch mehr in dieser Richtung kommen würde. Das erinnert mich an die goldenen Jahre der Horror-Fanzines, als eine Handvoll Individualisten ähnliche Sachen gestemmt haben. Bitte mehr davon.

  2. Vor allem war ich von Ligotti überrascht. Man weiß ja kaum etwas von ihm. Da gibt es tatsächlich parallelen zu Thomas Pynchon. Das Bedürfnis, manche Dinge festzuhalten, ist durchaus aus der Not geboren. Es scheint mir oft so, als spiele sich alles nur noch im englischsprachigen Raum ab, von dem man hier kaum etwas mitbekommt. Alles scheint in den 80er Jahren ausgelaufen zu sein (was ja auch auf die von dir genannten Fanzines zutrifft).

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