Peter Straub (Jazz-Stilist modernen Horrors 2)

 Von Stefan Dziemianowicz auf http://www.horroraward.org/index.html
Übersetzt von Michael Perkampus

zu Teil 1

Pic: Straub at Midnyte Reader

Hat ‘Ghost Story’ dazu beigetragen, die Struktur und das thematische Anliegen des modernen Horror-Romans auf eine Formel zu bringen, entwaffnet Straub seine Leser mit dem nächsten Roman ‘Shadowland’ (1980), die Geschichte zweier Studenten, beide Adepten der wahren Magie, die sie von ihrem Meister-Magier zu erben hoffen und um dessen Aufmerksamkeit sie wetteifern. Die Romanhandlung widersteht einer einheitlichen Erzählhaltung oder Auflösung, wie sie bisher von Straub angewandt wurde. Statt eine Lösung der vielen Geheimnisse anzubieten, vertieft Straub diese durch Andeutungen grundlegend irrationaler und unerklärbarer Komponente, die dem Übernatürlichen seinen ästhetischen Reiz verleihen.
‘Floating Dragon’ (dt. “Der Hauch des Drachen”, 1983), ein weiterer unkonventioneller Roman,  brachte Straub den British Fantasy Award ein. Extravaganter und unerbittlicher in der Entfaltung des Grauens, zeigt der Roman Straub auf Erkundungsreise der vollen Palette an Möglichkeiten, die der moderne Horror-Roman hergibt.

Die Veröffentlichung des Romans Koko (1988) markiert einen Wendepunkt in Straubs Karriere. Der Roman entfernt sich weit von jener Art makabrer Geschichten, die er über die letzten zehn Jahre geschrieben und verfeinert hatte. Angesichts der vollständigen Auslassung übersinnlicher Vorfälle, die er noch in ‘Floating Dragon’ über die Maßen steigerte, schien es, als ließer der das Horror-Genre hinter sich zurück. Stattdessen wählte er für ‘Koko’ die psychologische Spannung des Serienmörder-Motivs. Straub befeuerte solchen Annahmen mit späteren Romanen wie ‘Mr. X’ (dt. “Schattenbrüder”), einer zeitgenössischen Aufarbeitung Lovecraftscher Themen, ‘Lost Boy Lost Girl’ (dt. “Haus der blinden Fenster” –  im Grunde eine Spukhaus-Geschichte), und ‘In The Night Room’ (dt. “Schattenstimmen” – hier wird die durchlässige Grenze zwischen Fiktion und Realität untersucht).
Aber Koko selbst ist ein anspruchsvoller Roman, der nicht einfach in die Serienmörder-Schublade gesteckt werden kann. Straub siedelt diese Geschichte in Vietnam an, wo ein Trupp Soldaten eine Aufgabe zu erledigen hat. Zwanzig Jahre später werden Hinweise an den grauenhaften Tatorten hinterlassen, die annehmen lassen, daß einer von ihnen aufgrund der Erfahrungen, die er in Vietnam machte, den Verstand verloren hat.Um weitere Todesfälle zu verhindern und um sich möglicherweise selbst zu schützen, müssen sich die Veteranen noch einmal treffen und über die traumatisierenden Erlebnisse sprechen, die viele von ihnen in unterschiedlichen Stadien der Unzufriedenheit und Gestörtheit zurückließen. Als der Roman die Vergangenheit herausfbeschwört, werden die Szenerien zunehmend surreal und halluzinatorisch und bereiten die Bühne für ein letztes Rätsel, das möglicherweise verstörend und ungelöst bleiben muß.
Koko ist bemerkensswert in seiner Darstellung der Vorfälle psychologischer Verwirrung und derart unartikulierbar, daß die intensiven Gefühle, die dadurch geweckt werden, übernatürlichen Erfahrungen gleichgestellt sind. Die Preisrichter des ‘World Fantasy Awards’  sahen das 1989 ganz genau so, als sie ‘Koko’ als den besten Roman 1988 auszeichneten.

Seitdem hat sich ‘Koko’ als Eckpfeiler für eine ganze Serie um Tim Underhill erwiesen, einem Vietnam-Veteranen, der sich als Horror-Autor etabliert hat und der – mutmaßlich – auch der Verfasser von Straubs short story ‘Blue Rose’ (1986) ist.
In Straubs nächsten beiden Romane, ‘Mystery’ (1990) und ‘The Throat’ (dt. “Der Schlund” 1993) taucht Tim Underhill erneut auf, was dazu führte, daß man sie zusammen mit’ Koko’ die “Blaue Rose Trilogie” nannte (obwohl Tim Underhill bereits in ‘The Juniper Tree’ (dt. “Der Wacholderbaum”) eine Rolle spielte, sowie in den Romanen ‘Lost Boy Lost Girl’ und ‘In the Night Room’). Obwohl man Tim Underhill als Alter Ego von Straub selbst betrachten kann, ist dieser nach wie vor sich entwickelnde Story-Zyklus, den Straubs Werk seit mehr als zwei Jahrzehnten dominiert, mehr als ein Experiment postmoderner Effekthascherei. Durch die glatten und fließenden Übergänge von gut erzählten, rätselhaften Geschichten, zu Horror-Thrillern, deren Nebeneinander intimer Charakterstudien, panoramischer Patograhien von Kleinstädten, wo das Leben beherrscht wird von gescheiterten Träumen und vereitelten Wünschen, und vor allem durch die brilliante Wechselbeziehung zwischen Kunst und Leben, stellen diese Romane den Höhepunkt von Straubs Kunst als Geschichtenerzähler dar.

Straubs Status als Erzähler des Makabren ist so gewaltig, daß es einfach ist, seine anderen (beträchtlichen) literarischen Leistungen zu übersehen. Mit Stephen King hat er ein Dark-
Fantasy-Diptychon entworfen (Der Talisman (1984) und Das schwarze Haus (2000)). Er ist Autor
dreier Geschichten-Sammlungen, ‘House without Doors’ (1990), ‘Magic Terror’ (1997) und ‘5 Stories’ (2008). Die Palette reicht vom modernen Märchen ‘Ashputtle’ über den Kleinstadt-Schauer
‘Pork Pie Hat’ bis zu ‘Mrs. God’, einer schräg-seltsamen Geschichte im Stile Robert Aickmans.
‘Sides’ (2007), eine Sammlung von Essays und Einführungen, präsentiert Straubs Perspektive auf das Schreiben und auf Autoren.
Seine Anthology ‘Children Of Po’e (2008) enthält einige der besten makabren Geschichten moderner Erzähler innerhalb und außerhalb des Genres. Die Auswahl von Geschichten für die Library of America,  ‘H.P. Lovecraft: Tales’ (2005) half dabei, Lovecrafts Arbeit als Teil des amerikanischen literarischen Kanons zu etablieren.

Gegenwärtig ist Straub der zweimalige Gewinner des World Fantasy Awards, der achtmalige Gewinner des Bram Stoker Awards, der zweimalige Gewinner des International Horror Guild Award und ein ‘Grandmaster’ der Worls Horror Convention sowie der Träger des International Horror Guils’s Living Legend Award. William Sheehan ehrte ihn mit einem Buch, einer kritischen Studie über Straubs Werk: At The Foot Of the Story. Sicherlich werden über Straub und seine Arbeit in den kommenden Jahren weitere kritische Erkundungen folgen.

An einem Punkt seiner Karriere angelangt, wo die meisten Autoren zufrieden damit wären, auf ihre größten Erfolge zurückzugreifen und sich klischeehaft in ihrem eigenen Werk zu suhlen, bleibt Straub furchtlos originell. Er ist der Horror-Literatur-Jazzvirtuose, ein Künstler, der ständig bemüht ist, das Unaussprechliche zu gestalten und dem Form und Bedeutung zu geben, was als unkontrollierbare Kraft die Essenz der Kreativität selbst ist.

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