Der schmachtende Wind, Absatz 1
Während der Rauhnächte fegte ein entfesselter Wind über das Land hinweg, der zunächst wie der übliche Nachtwind um die stummen Häuser patrouillierte, die schneebedeckten Zweige schaukelte, die kristallen aufblitzten, dankbar für jede Regung, die man ihnen antat, damit sie wenigstens ein bißchen Gewicht verloren. In der dumpfen Wärme der Ställe scharrte das Vieh. Zuweilen bellte mit unterdrückter Stimme ein Hund. Das könnte Bella gewesen sein, der schwarze Labrador von Günther Herold, der hier angeblich den letzten freilaufenden Keiler erlegt hatte, nach dem der sage und schreibe in sein Haus eingedrungen war, man weiß nicht genau, wie, wütend wie der Zerberus nach einer Rebellion der toten Seelen. Trotz Blattschuß soll das wildgewordene Tier noch im Todeskampf das halbe Vestibül zu Kleinholz verarbeitet haben, in dem sein ausgestopfter Schädel links neben dem Eingang über einem Jagdtisch mit fünf Beinen und aufwendigen Schnitzarbeiten heute noch die Wacht hält, versteinert und borstig, vor allem aber verstaubt, umgeben von einem Holzrahmen aus heller Eiche. Lorbeerblätter und Datierung fehlen selbstverständlich nicht. Bella war zu dieser heroischen Stunde, als der Keiler sein Anliegen durchaus ungestüm vorzubringen sich erdreistete, noch nicht des Schäfers verlängerte Schnauze, und als sie dann den starren Blick des Ungeheuers dort an der Wand zum ersten Mal gewahrte, die schielenden kleinen Glasaugen, den aufgesperrten Rachen, da weigerte sie sich, im Haus zu schlafen. Kein guter Anfang für ein künftiges Vertrauensverhältnis, denn, so dachte der Herold, den Schafen näherten sich ganz andere Störenfriede, und ein Hündchen, das davonlief, anstatt sich mit gesträubtem Fell und starrer Rute selbst einem Tyrannosaurus entgegenzuwerfen, wird wohl kaum geeignet sein, in diesen finsteren Jagdgründen für das Gerücht der Unbezwingbarkeit und Spaßlosigkeit zu sorgen, ein notwendiger Umstand aber, denn lebt nicht schier alles von Gerüchten, von überlangen Schatten, von unsinnigen Taten, die in jeden Rahmen sprengender Vernunftlosigkeit erst zur abschreckenden Blüte werden? Seine Bella, so hätte es der Herold gerne verkündet, springe selbst ihr eigenes Spiegelbild in den Pfützen an, wo sie sich den Durst stillt, nicht zulassend, daß selbst ihre Reflektion der Herde zu nahe käme. Die Hündin bekam jedoch – erste Runde des Eigensinns – im Hof der ehemaligen Wendenschuch-Mühle, umgeben von der Herrenwohnung, den Stallungen, dem Hirtengebäude und dem Tropfhaus ihr Plaissier, sichtlich froh darüber, so ganz ohne Bilder, Tand und Trophäen an den Wänden ihren selbstgestalteten Träumen nachzugehen, wobei sie – und da sei der Vollständigkeit halber erwähnt – einen ihren Träume ganz besonders schätzte, in dem sie sich von einem Widder, dem sie doch positionsmäßig vorstand, von Hinten (anders war es ihrer Natur leider nicht vergönnt) nehmen ließ.