Fiktiv UND authentisch, bitte!

Warum lese ich Romane? Was zeichnet einen Roman aus?

Eine Geschichte, oder vielleicht auch mehrere in einer, sollte er erzählen; er sollte mich anhand der Figuren mitnehmen in eine andere Erfahrungswelt als die meine, in eine erdachte Welt, in der alles möglich ist, ohne dass sie unglaubwürdig scheint…
Fiktiv und authentisch gleichzeitig sollte ein Roman meiner Meinung nach sein!

Es ist absurd, aber man kann nichts dagegen tun, dass Literatur, dass Romane heute im Leben der meisten Menschen nicht mehr eine so große Rolle spielen wie vielleicht noch vor 20 Jahren. Dass die nicht fiktionale Welt, die der Nachrichten, in den meisten Fällen wichtiger ist. Dass die meisten Menschen heute nicht mehr so viel Verwendung für Fantasie haben wie früher. Aber das bedeutet nicht, dass die Menschen, die heute Romane lesen, diese nicht schätzten und nicht verstünden – allein die Prozentzahlen haben sich verändert: Deutlich weniger Menschen als noch vor 20 Jahren lesen heute Romane.

Für mich allerdings ist die Welt der sogenannten Realität nicht so schrecklich interessant. (…) Das wirkliche Leben ist aber nicht so gut konstruiert wie eine Geschichte. (…) Die Architektur des Lebens ist nicht halb so gut wie die einer guten Geschichte. Das Leben macht auch nicht immer Sinn …“

John Irving zufolge gibt es seit den 1990ern die Tendenz, dass Leser sich stark für das Autobiografische in Romanen interessieren. Er verarbeitet diese Thematik auch (wie sovieles andere) in seinem großartigen Roman „Witwe für ein Jahr“. Was von real Erlebtem verbaut ein Autor in seinem Roman? Was verändert er, sodass eine unterhaltsame Geschichte daraus wird? Kann man nur über etwas schreiben, was man selbst erlebt hat? Ist es immer wichtig zu wissen, was wirklich so passiert ist und was stattdessen der Phantasie entsprang?

Nein. 

Auch die Autorin Juli Zeh empörte sich 2006 über die ewige Frage nach dem Autobiografischen in ihren Romanen und beschrieb ihre schriftstellerische Vorgehensweise in „Zur Hölle mit der Authentizität!“ so:

Das Leben eines Schriftstellers, erkläre ich dem Publikum, gleicht einem Steinbruch, in dem er das Material für seine Geschichten abbaut. Manche Figuren und Orte besitzen Vorbilder in der so genannten Realität, andere nicht; wieder andere sind mosaikartige Zusammenschnitte aus Wirklichkeitsfragmenten, nach Belieben mit Erfundenem durchmischt. Der Grad der Verfremdung folgt dabei keinen anderen Gesetzen außer jenen des inhaltlichen und formalen Gestaltungswillens und variiert von Fall zu Fall. Mit Autobiografie hat diese Methode nicht das Geringste zu tun. Eine Erzählung zu schreiben, die eins zu eins ein tatsächliches Ereignis spiegelt, wäre für mich todlangweilig; das vollständige Erfinden einer Geschichte, die nichts mit mir zu tun hat, hingegen ohne Sinn.“

Mich als Leserin interessiert es nur bedingt, ob ein Roman autobiografisch ist. Viel spannender finde ich eben die Symbiose aus Fiktivem und Realem in einem Roman. Insofern beschäftigt mich schon, ob der Autor bestimmte Begebenheiten, über die er schreibt, auch erlebt hat. Es beschäftigt mich, doch es ist keineswegs die allerwichtigste Sache, die mich an einem Roman interessiert. Und ich würde niemandem vorwerfen, was er schreibe sei unauthentisch, wenn er es nicht selbst erlebt habe. Man kann durchaus intensiv recherchieren. Oder sich in Situationen einfühlen. Eine ausufernde Phantasie haben.

Dafür gibt es doch die von uns allen so geschätzten Schriftsteller!

Dabei sollte eine fiktive Figur, oder eine solche, die an eine reale angelehnt ist, stets glaubwürdig sein. Wenn ich der Person, von der ich lese, ihr Handeln oder Denken beim besten Willen nicht abnehmen kann, wird sie unglaubwürdig. Ebenso die Handlung selbst.

Das große Kunstwerk des Schreibens besteht für mich genau darin, sowohl fiktiv als auch authentisch (im Sinne von glaubwürdig) zu sein. Ich möchte nicht die realen Live-Ergüsse von Autorinnen meines Alters lesen, wie sie ihr superhippes Großstadtleben wahrnehmen und sich selbst bemitleiden, als hätten sie ihre Blog oder Tagebucheinträge in (E-)Bookform gepresst und böten es mir nun zum Kauf an. Im Übrigen bin ich auch kein Fan von Reality-TV usw. Um wievieles interessanter, spannender und unterhaltsamer ist doch „die Architektur der Fiktion“. Ich liebe die Fiktion, ich bin Eskapistin!

Deshalb lese ich Romane!

14 Gedanken zu “Fiktiv UND authentisch, bitte!

  1. Liebe Laura, ich mag es in Romanen auch lieber fiktiv und ein wenig schräg und skuril. Ich bin erstaunt, das es heute weniger beliebt ist. Reality TV finde ich nur scheusslich und die pure Zeitverschwendung. Lg Susanne

    1. Mich wunderte das auch, dass es bei den beiden Autoren so anzukommen scheint, dass viele Leser sich nicht mehr so für Fiktion und Skurrilität interessieren … die Gesellschaft besteht ja zum Glück nicht nur aus Reality-TV-Guckern 😉

  2. Als Eskapistin würde ich mich nicht bezeichnen, ich habs nicht so mit dem Bekenntnis zu den -isten und -ismussen. Aber ich weiß, was du meinst und das schätze ich auch an Literatur und auch Kunst. Ich finde auch, dass darum die Literatur und sich auch in der phantastischen Fabulierkunst zeigt, wozu der menschliche Geist fähig ist – er kann sich Geschichten ausdenken, die nicht eins zu eins zu erlebt sein müssen. Dazu ist die Einbildungskraft fähig und das ist so großartig.
    Natürlich ist es auch berechtigt, wenn ein junger Autor über das schreibt, was er kennt und davon affiziert wird oder jenes in seinen Büchern verarbeiten will, was er erlebt hat. Auch das kann literarisch spannend sein – es kommt immer auf den Stil, auf die Art und Weise des Erzählten an. In Sachen Authentizität ist auch die Frage, zu welchen Vorstellungen bin ich denn als Leser fähig? Was kann ich mir selber vorstellen, was halte ich für möglich? Wie weit reicht meine Phantasie? Will ich überhaupt in fremde Welten flüchten oder möchte ich die Realität nachgebildet sehen?
    Da sind wir dann auch beim Unterschied zwischen der klassischen bürgerlichen Literatur und der modernen: moderne Literatur zeichnet nicht mehr der Mimesis-Ansatz aus d.h. Nachbildung der Wirklichkeit, feste Figurenkonstellationen mit festen Identitäten, Handlungsstrukturen und einem festen Kosmos, den es auch in der Wirklichkeit so gibt, mit einem Helden, um den sich alles dreht. Die moderne Literatur hat sich daraus befreit und zeichnet sich aus durch das Durchbrechen der eindimensionalen Erzählweise, mehrperspektivisch etc., die Figuren sollen uns unterhalten oder verwundern, nicht unbedingt für eine gewisse Lebenseinstellung stehen, die es zu überdenken oder die es zu erstreben gilt. Zumindest nicht vordergründig repräsentieren sie einen bestimmten Typus, das feste unverbrüchliche Ich und die Ich-Zentriertheit wurde im 20. Jahrhundert überwunden … Diese Entwicklung ist spannend und großartig. Und es wird sich auch weiter entwickeln.
    Heutzutage entstehen wieder mehr tradionelle Texte d.h. mit eher traditionellen Mitteln wird erzählt. Ich habe das Gefühl zu Beginn und um die Mitte des 20. Jhd. gab es da viel innovativere und neuere Texte, es wurde mehr gewagt, man hat neue Welten erschlossen – angefangen mit Kafka, über Huxley und die Dystopien. Heute haben wir eine Vielzahl an unterschiedlicher fantastischer Literatur, die gleichberechtigt neben anderen Genres steht. Meiner Meinung nach hat jede Erzählweise ihre Berechtigung, was ich selbst als Leser bevorzuge, ist natürlich auch abhängig von meiner Erwartung und Lesegewohnheit. Ich schätze auch realistische Texte – es kommt auf die Gemachtheit an und was ich von der Geschichte erwarte. Irgendwo ist jeder Text an sich fiktiv in seiner Erzählwelt und es ist richtig – es geht nicht immer im Einzelnen darum, ob das jetzt wirklich passiert sein kann oder passiert ist. Das führt nicht unbedingt zu einem tieferen Verständnis des Textes – ein schönes Beispiel dafür ist Kafka, dessen Biographie eine Zeit lang derart ausgedeutet und in Bezug zu Erklärung seiner Literatur gesetzt wurde, aber zu nichts Neuem geführt hat. Und darin erschöpft sich sein Werk auch nicht – das wäre nicht angemessen.
    Spannendes Thema für wahr!

    1. Naja, ich finde solche -ismen und -isten manchmal hilfreich um zu veranschaulichen, was ich meine. auch wenn sie natürlich plakativ und verallgemeinernd sind 😀
      Ich freu mich über deinen mal wieder ausführlichen Kommentar, der eine prima Ergämzung zu meinem Statement darstellt 😉

      Nur eines macht mich stutzig: „das feste unverbrüchliche Ich und die Ich-Zentriertheit wurde im 20. Jahrhundert überwunden …“
      Meinst du das wirklich? Also, dass das Ich vielfältiger und mehrschichtiger geworden ist, da geh ich mit, aber dass die Ich-Zentriertheit überwunden wurde…. hmm. Ich finde eher, dass sie zugenommen hat. Sowohl gesellschaftlich als auch in der Literatur teilweise (Rank…)

      1. Ich glaube da missverstehst du etwas oder ich habe es falsch ausgedrückt – es geht nicht um die Ich-Zentriertheit des Autors und Erzählers, sondern eher philosophisch um die Annahme eines festen Ichs in der Welt, das sich selbst erkennt, im Sinne von Déscartes Cogito, oder später dann Hegels Überwindung der Subjekt-Objekt-Trennung im absoluten Geist. Diese hat sich vollkommen geändert hin zum 20. Jahrhundert mit u.a. Nietzsche und der radikalen Subjektkritik, der das Subjekt als „Schein“ bezeichnet hat … Diese Geisteshaltung hat sich auch auf die Literatur ausgewirkt u. damit einher geht eine ganz neue literarische Erzählstruktur u. ganz neue Texte bspw. der moderne Roman.
        Untersuchen müsste man jetzt, ob sich die Idee vom Ich hin bis heute nochmal gewandelt hat – natürlich hat sie das, mit der Psychoanalyse u. dem Unbewussten vor allem (Freud) und der modernen Neurowissenschaften sehen wir das, was wir als Ich bezeichnen, nochmal ganz anders. Ein Ich kann eines von vielen sein, kann viele einzelne Teil-Ichs haben und ist doch „Konstruktion“ … Jedenfalls geht meine Bemerkung eher in diese Richtung, die hoch interessant ist und man noch ewig weiter ausführen könnte.

  3. Ich finde es immer sehr schade zu hören, daß das wirkliche Leben nicht so interessant ist, als daß man es in Romanform lesen möchte und, daß das, wo dann Roman darauf steht, immer so schrecklich überhöht, spannend, etc sein muß.
    „Denk an das Schrecklichste was du erlebt hast, schreib es auf, dann wird es gut!“, ratet man in den Schreibworkshops und dann lesen wir Thomas Bernhard, Helene Hegemann etc und es gruselt uns und es schauert und ich denke, so nicht, denn ich will nicht, daß eine Dreizehnjährige, die vielleicht ganz normal bürgerlich oder unbürgerlich lebt, also in die Schule und um zwölf schlafen geht, vielleicht noch keinen GV hat und keine Drogen konsumiert, nach der Lektüre von „Axolotl Roadkill“, beispielsweise, ihr Leben als abnormal und langweilig empfindet und vielleicht zu der Rasierklinge oder dem einen Joghurt täglich und dem Salatblatt greift.
    So will ich es nicht, weder schreiben noch lesen, so schildere ich in meinen Texten, den ganz normalen Alltag einer Haupt-oder Nebenberuf Psychotherapeutin, schreibe also von den arbeitslosen Frauen und Männern, den Omas, die mit ihren Enkelkindern auf den Spielplatz gehen, während die Messie-Mütter ihren geschiedenen Männern nachfahren und bekomme auf Lesungen zu hören, daß man das nicht lesen will.
    Nun ja, nun gut, bei einem Erwachsenen, der vielleicht selber obdachlos ist und daher das heile, überhöhte Leben in der Literatur haben will, kann ich das verstehen, bei den Jungautoren den sogenannten Fräuleinwunder, würde ich es bedenklich finden, wenn die Verlage immer skurilleres, schrecklicheres von ihnen verlangen, nur damit sich der dann enstandene Roman gut verkauft.

    1. Es geht ja nicht darum, dass Romane gleich die Realität übertreiben und sich dadurch bewusst interessant machen und in Szene setzen, das würde ich dann, glaub ich, auch nicht mögen und zu affektiert finden.
      Es geht auch nicht darum, dass der Leser dann sein eigenes Leben total langweilig und fad findet, und dem fiktiven Romanleben nacheifert, wie du es dir von einer Dreizehnjährigen vorstellst, die ein „Hegemann-Romanleben“ führen will…
      Ich denke, der Leser sollte da schon unterscheiden können, dass sich das fiktive Romanleben durchaus von der realen Welt unterscheidet und man dem deshalb nicht nacheifert, sondern sich eben bewusst anhand von Romanen auf Phantasiereise begibt!

      Ich meine oben in meinem Statement ja auch, dass reine Phantasie und Übertreibung auch nicht das ist, was ich lesen will, Romane sollten schon AUCH einen Bezug zum Realen, zum Erlebten haben. Aber eben nicht NUR daraus bestehen… meiner Meinung nach.

  4. Du hast es wundervoll auf den Punkt gebracht, besser hätte man es nicht sagen können. Und mal sehen, was ich mit den ganzen Gedanken mache, die mir dazu noch im Kopf rumtanzen. 🙂

    1. Danke:) Wenn du „Austauschbedarf“ hast, melde dich gern! Ein spannendes Nachdenken-über-Literatur-Thema ist es allemal.

  5. Vielen Dank für den Text! Das Thema ist ja – wie auch die Diskussion hier zeigt – ein Evergreen und immer wieder umstritten.
    Dem Loblieb auf den Eskapismus in Bezug auf Literatur (man könnte ja auch ergänzen: Film etc.) schließe ich mich aus ganzem Herzen an – nur mit einer kleinen Einschränkung. Ich würde zwischen „Realität“ und „Fiktion“ gar nicht so einen starken Gegensatz erkennen. Fiktion/Eskapismus sind eben, so denke ich, ein hervoragendes Mittel, um die Realität zu verstehen. Wer immer nur die Realität „realistisch“ abbildet oder spiegelt, versteht letztlich gar nichts von dieser Realität, sondern wiederholt sie nur immer und immer wieder. Das ist nicht nur langweilig, sondern führt auch in keiner Hinsicht weiter. Denkprozesse etc kommen dagegen immer dann in Gang, wenn man mit Alternativen und Abweichungen zur Realität konfrontiert ist.
    Daher finde ich es schade, dass in den letzten Jahren offensichtlich eine „Fiktionsinkompetenz“ bei AutorInnen und LeserInnen um sich greift. Die Flut quasi-autobiographischer Familiengeschichten in den Romanregalen ist dafür das schlimmste Zeichen …

    1. Lieber Timo, das hast du schön formuliert: „Denkprozesse etc kommen dagegen immer dann in Gang, wenn man mit Alternativen und Abweichungen zur Realität konfrontiert ist.“ Wie wahr! Insofern stimme ich dir auch zu, dass Fiktion und Realität sich vielleicht gar nicht so konträr gegenüberstehen… Beide überschneiden sich ja selbst dann oft, wenn man sich beinahe nur mit Realem befasst, und keine Bücher liest, keine Filme guckt… (gibt es solche Menschen überhaupt? Die sich nur mit realen Fakten beschäftigen?) -im Grunde ist ja jede Schilderung von etwas Erlebtem im Alltag schon eine kleine Abwandlung, durch das, was man u.U. weglässt etc. Hmm, solche Gedanken könnte man wohl ewig weiterführen 😉

      1. Im Übrigen müssten wir uns hier über die Begrifflichkeit unterhalten. Was ist denn die „Realität“? Wann ist eine Sache für mich „wirklich“? Ist eine Sache weniger wirklich, wenn die in einem Buch beschrieben wird oder ist nur wirk-lich, wenn sie in „unserer Welt“ bei gleichen Bedingunen in Raum und Zeit ihre Spuren hinterlassen hat? Was ist das für ein Ding, die Realität? Das ist doch die allerwichtigste Frage … Die fiktive Welt innerhalb eines literarischen Textes beschreibt eine Realität und innerhalb dieser kann alles möglich sein. Zudem – gibt es denn nur eine Realität? Es betrachtet doch jeder Mensch die Welt durch seine Augen. Wie definieren wir dann Realität? Auch wenn wir Fernsehen schauen, wenn wir Berichte über entfernte Länder und Begebenheit sehen, nehmen wir dieses als real wahr. Das Fernsehen zeigt uns heute Dinge, wir die als wahr und wirklich hinnehmen. Natürlich unterscheiden wir zwischen Fiktion, bewusster Fiktion und Dokumentation, die eine reale als solche „passierte Begebenheit“ bezeichnet u. im Medium Film o. Buch wiedergegeben wird. Wobei es manchmal nicht so einfach ist, da zu unterscheiden. Und wenn wir davon reden, „ich fühl mich wie im Film“, dann zeigt das gut, das wir uns wie in einer fiktiven Realität vorkommen. Das als Anregung zu Weiterdenken ….

        Die Frage nach Authenzität oder Fiktion in der Literatur ist ja auch die Frage danach, was ist für Kunst? Ein literarischer Text ist ein Kunstwerk und als solches anders wahrzunehmen als Alltagsdinge. Ein Kunstwerk unterliegt eigenen Bedinungen – Sprache erzeugt im Literarischen Bilder und appeliert damit an unsere Erfahrung. Doch – wir können uns nicht nur das vorstellen, was wir kennen sondern usn darüber hinaus auch einen goldenen Berg vorstellen, obwohl wir nie selbst einen sahen. Die Literatur macht es möglich über das a posteriori hinaus zu gehen und Dinge zu sehen, die wir a priori nicht kennen, die aber möglich sind – die Vorstellungskraft ermöglicht erst die Literatur. Je phantastischer die Beschreibung, je detaillierter, desto besser können wir uns etwas vorstellen. Hier kommt es dann auf die kreativen und poetischen Fähigkeiten des Autors an, uns unbekannte Welten und scheinbar unmögliche Dinge zu beschreiben und uns zu ver-führen …Authentisch sein heißt, die Dinge müssen sich in ihrer Beschreibung nahezu mit ihrer Entsprechung in der Welt decken – die Beschreibung eines Tisches sollte einem Tisch ähneln. Aber wenn sich diese Beschreibung wenig mit der Wirklichkeit deckt, z. Bsp. der Tisch 3 Beine hat u. trotzdem steht, ist er dann weniger wirklich innerhalb dieser Welt?

        Ich sehe es übrigens genauso wie Timo, dass eine fiktive Handlung besonders das auszeichnet, was über das schon dagewesene hinausgeht und die jeweils vom Blickwinkel des Autors erfahrene Wirklichkeit in Frage gestellt und etwas Neues probiert wird. Abstrahierend vom eigenen Erfahrungshorizont erschafft der Autor eine eigene Welt mit eigenen Begebenheiten.
        Das ist das Großartigste, was moderne Literatur hervorgebracht hat.

    2. Vielleicht ist es wirklich sinnvoll, auf die Unterscheidung von Fiktion und Realität zu verzichten. Ich glaube, Roland Barthes hat mit Blick auf Literatur irgendwann einmal den Begriff der „Wirklichkeitseffekte“ gebraucht, um zu zeigen, mit welchen „fiktionalen“ Mitteln „Wirklichkeit“ innerhalb und außerhalb eines literarischen Texts erzeugt wird. Das scheint mir irgendwie ganz sinnig.
      Mit Blick auf Authentizität etc. gibt es dann nicht authentische oder nicht-authentische Texte, sondern nur verschiedene Strategien zur Erzeugung (eines Eindrucks) von Authentizität. Einige Autor_innen „beglaubigen“ ihre Geschichten, indem sie auf eine vermeintlich äußere Wirklichkeit verweisen (was wäre dann der Typus des von mir überhaupt nicht gemochten auto-biographischen Familienromans), andere beglaubigien ihre Geschichten aus sich heraus (bestes Beispiel dafür wären vielleicht science-fiction-Romane) …

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