Bloggerpate

Ich hatte zu dieser Buchmesse in Leipzig die Freude – die war es! – Bloggerpate zu sein. Ob es eine Ehre war, weiß ich (noch) nicht. Evaluieren wir:

Ausgangssituation
Als ich vor fast drei Jahren 54books startete, war es bereits kein Problem mehr für die Buchmesse in Frankfurt oder Leipzig ein Akkreditierung zu erhalten. Der Presseausweis erlaubte den freien Eintritt an allen Messetagen, die Nutzung von speziellen Räumen, Parkplätzen etc. pp. In dieser Welt waren die Blogger nicht akzeptiert, aber zumindest geduldet.

In diesem Jahr wollte die Leipziger Buchmesse vieles anders und sollte auch vieles richtig machen. Jeder Nominierte für den Preis der Messe erhielt einen Blogger als Pate. Die Blogger hatten sich hierfür mit Hilfe eines einfachen Fragebogens zu bewerben und aus knapp 80 Bewerbungen wurden 15 ausgewählt. Die Paten erhielten das zugeteilte Werk in zweifacher Ausführung, eine Einladung zur Eröffnung im Gewandhaus mit anschließendem Empfang und eine Pressekarte für die Preisverleihung selbst. Auf der Messe selbst gab es, nicht nur für die Paten, einen eigenen Bereich, die Bloggerlounge, mit freiem W-Lan und Kaffee, günstigeren Snacks als auf dem Rest der Messe, Arbeitsplatz und Ruhe. Leipzig war hier ein Vorreiter und dies ist schon zu loben.

Trotzdem gab es bereits im Vorfeld Kritik. Bei Facebook wurde unter Paten und Außenstehenden diskutiert, warum sich Blogger für diese verhältnismäßig geringe Gegenleistung vor den Werbekarren der Messe spannen lassen. Wäre es nicht adäquat den Paten für den Zeitraum der Messe oder zumindest der Eröffnung und Preisverleihung auch eine Aufwandsentschädigung zu zahlen, wie viel Gratiskaffee muss man konsumieren, um Hotel- und Reisekosten wieder einzuspielen?

Für mich und, wie ich in persönlichen Gesprächen erfahren habe, wohl die meisten Paten stand bereits vor der Ernennung der Messebesuch fest, ein Zuschuss im Sinne von einigen wenigen Vergünstigungen nahm man gerne mit, mehr zu verlangen, ist in dieser Gratisbranche nicht üblich. Die Frage, ob man nun Geld für eine Rezension zu einem bestimmten, nicht selbstgewähltem Buch und die Eröffnung von Reichweite für Werbung hätte fordern können, sollen, müssen, kann ich hier ebensowenig beantworten, wie die Diskussionen im Facebook und vis à vis dies konnten. Stattdessen möchte ich lieber einige andere Aspekte der Messe und Patenschaft beleuchten.

Begegnung mit Verlagen
Zu Beginn dieser Seite bin ich auf Verlage zugegangen, fast immer netter Kontakt, die Aufnahme in etliche Presseverteiler und die Möglichkeit Rezensionsexemplare zu bestellen, die Folge. Inzwischen, und das fiel mir bei dieser Messe besonders positiv auf, wenden sich Verlage an Blogger. Mehrere Termine waren nicht auf meine Initiative, sondern auf die der Verlage zurückzuführen. Man sitzt beisammen und hier ist die Augenhöhe, die einem von der klassischen Presse verwehrt wird. Bei Manesse und der DVA nehmen sich Verleger, Pressechefin und Lektorat die Zeit mit knapp zehn Bloggern in Austausch zu treten. Während die eine Hälfte zum letzten Termin des Tages aufbricht, lädt Manesse Verleger Dr. Horst Lauinger zum Sekttrinken, der auch Peer Steinbrück, auf meine dreiste Einladung hin, folgt.

Foto: Jochen Kienbaum
Foto: Jochen Kienbaum

Der Suhrkamp Verlag, der ungebrochen viel Aufmerksamkeit im klassischen Radio- und Zeitungsfeuilleton erhält, lädt Blogger zum Kennenlernen einzeln an den Stand, denkt wie Kiepenheuer & Witsch, DuMont oder Hanser darüber nach mehr Aktionen speziell für Blogger zu organisieren, aktiv auf diese zuzugehen. Dies tun sie nicht nur, wie Argwöhner sofort bemängeln werden, um günstige Werbung abzugreifen – die bekommen sie in der klassischen Presse auch – sondern weil der Einfluss dieser ab- und der der Blogger zunimmt.

Begegnung der Paten
Ganz anders und am Anfang sehr ernüchternd verläuft dagegen das Aufeinandertreffen der Nominierten und Paten in der Bloggerlounge. Obwohl eine erfreulich große Anzahl von Autoren und Übersetzern, inklusive der drei Preisträger, erscheinen und sich den Fragen der Mitorganisatorin und Moderatorin Vera Lejsek stellen, geben fast alle sehr offen zu, dass sie von der Patenaktion erst sehr spät – wenn überhaupt – von ihren Verlagen gehört haben und Literaturblogs ihnen zumeist fremd sind. Aber nicht etwa, weil sie hieran kein Interesse hätten, nein vielmehr weil sie über diese gar nicht informiert werden.

Im Gespräch nähert man sich indes immer weiter an, auch weil das Treffen, trotz Podium, ohne jeden Zwang und offen abläuft. Übersetzungs-Preisträgerin Mirjam Pressler ist völlig begeistert von der Aktion und einer Nische der Literaturkritik, die sich ihr bisher entzogen hat. Die Nominierten und Preisträger haben am Ende viel mehr Fragen an die Blogger als umgekehrt. Vor allem Fragen nach der Zeitintensität und wie diese zu bewältigen ist, nach der Motivation ohne pekuniäre Gegenleistung zu schreiben und nach Rezensionsstilen beschäftigen Autoren und Übersetzer gleichermaßen.

IMAG4221Tolle Beispiele für das Potenzial des Modells Bloggerpaten gibt es bereits im ersten Jahr. Tobias Nazemi von Buchrevier hatte im Vorfeld der Messe Kontakt mit Jan Wagner, dem sehr sympathischen Preisträger im Bereich Belletristik, ein Interview kam per Telefon zustande und Tobias hat sich so für Jan gefreut, als sei er selbst ausgezeichnet worden. Nach dem offiziellen Teil stehen sie gemeinsam in einer Ecke und plaudern. Glänzendes Beispiel für den Austausch ist ebenso der Älteste der Nominierten Moshe Kahn. Fast freundschaftlich winken Mara und er sich zu, als er kommt. Sie hatten mehrfach Kontakt, Moshe Kahn hat sogar im Blog kommentiert, ihr von den Schwierigkeiten der Übersetzung und dem Lesen des 1500 Seiten starken, arg verschachtelten Roman Horcynus Orca, erzählt. Besser geht es nicht!

Die Autoren und Übersetzer wussten also leider fast nichts von den Patenschaften und sind umso begeisterter. Was wäre möglich gewesen, wäre im Vorfeld anders kommuniziert worden? Daher muss diese Aktion wiederholt werden, nur unter anderen Vorzeichen! Die Autoren wollen – zum Großteil – sogar einbezogen werden, sind neugierig und haben Spaß daran mit uns zu arbeiten.

[Warum nun gerade die Verlage, die ich oben ausdrücklich für Transparenz und Einbeziehung gelobt habe, eine deutlich größere Aktion als normale Besprechungen nicht anders kommuniziert haben, ist mir ein Rätsel.]

Der Unterschied
Blogger begreifen ihr Tun als Spaß, als Hobby und arbeiten daher mit der intrinsischen Motivation nicht für Geld zu schreiben (schreiben zu müssen), sondern aus Freude an und Liebe zur Literatur. Bei einigen Buchbloggern führt das zu kindlichem und jugendlichem Überschwang, der sich nicht selten in völlig inhaltslosen “Klappentext + Ich habe das Buch verschlungen”-Rezensionen niederschlägt, bei den ernstzunehmenden Literaturbloggern zu Leidenschaft und fundierten Besprechungen.

Eins ist klar: allein der wirtschaftliche Unterbau und die Vermarktung trennt Blogger und klassische Presse weiterhin und bis auf weiteres. Warum unsere Besprechungen aber per se von minderer Qualität sein sollen, legt niemand schlüssig dar. Diese These, die viele Journalisten als Monstranz vor sich her tragen, wird leider viel zu selten in den klassischen Medien mit Leistung gerechtfertigt. Die Blogger – und das zeigt diese Messe eindrucksvoll – sind nicht nur auf Augenhöhe mit den Journalisten klassischer Medien, sondern ihre Arbeit ist teilweise sogar besser, man sehe sich nur diese Beiträge an.

Kategorien Allgemein Diverses Feuilleton

Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.

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