(M18)
Ja, das ist seine Heimat. Hier kann ihm nichts geschehen. Er lächelt bei der Vorstellung, daß ihm hier was geschehen könnte. Er vermeidet es, in die Richtung des Schlafdiwans zu sehen. Jeder Mensch braucht eine Heimat, nicht eine, wie primitive Faustpatrioten sie verstehen, auch keine Religion, matten Vorgeschmack einer Heimat im Jenseits, nein, eine Heimat, die Boden, Arbeit, Freunde, Erholung und geistigen Fassungsraum zu einem natürlichen, wohlgeordneten Ganzen, zu einem eigenen Kosmos zusammenschließt. Die beste Definition der Heimat ist Bibliothek. Frauen hält man am klügsten von seiner Heimat fern. Entschließt man sich doch, eine aufzunehmen, so trachte man, sie der Heimat erst völlig zu assimilieren, so wie er es getan hat. In acht langen, stillen, zähen Jahren haben die Bücher für ihn die Unterwerfung dieser Frau besorgt. Er persönlich hat keinen Finger dazu gerührt. Seine Freunde haben die Frau in seinem Namen erobert. Sicher läßt sich viel gegen die Frauen sagen, nur ein Narr heiratet ohne Probezeit. Er war so klug, bis zu seinem vierzigsten Lebensjahr zu warten. Diese achtjährige Probezeit soll ihm ein anderer nachmachen. Was kommen mußte, ist allmählich herangereift. Herr seines Schicksals ist der Mensch allein. Wenn man es genau bedenkt, hat ihm nur noch eine Frau gefehlt. Er ist kein Lebemann – bei “Lebemann” sieht er seinen Bruder Georg, den Frauenarzt, vor sich – , er ist alles, nur kein Lebemann. Aber die schweren Träume der letzten Zeit dürften mit seinem übertrieben strengen Leben zusammenhängen. Das wird jetzt anders.
Aus: Elias Canetti, Die Blendung, mehr …