Büros (aus: Dranmor)

Und im Kulturbüro. Was macht man in einem Kulturbüro? Was macht es mit uns? Roman kann mir darüber keine klare Auskunft geben. Immer wieder fallen die Wörter Kommunikation und Unterstützung. Er wechselt das Thema. Er schreibe aber gelegentlich auch für ein Magazin. Ein Werbeblättchen, für das er ab und zu einen kleinen Beitrag verfasse, hört man heraus. Natürlich in der Freizeit, wie er sagt. Dann folgt ein ausgiebiges Schwärmen von seinem Büro. Zwischen den Wörtern liegen Kellergewölbe. Ein Gewölbe aus hellblauem, weichpoliertem Stein. Ein Kellergewölk im Souterrain eines Altstadthauses. Er vermittele also Kontakte und verleihe auch Instrumente und technisches Gerät. Interessante Leute träfe er da immer wieder, und er erhoffe sich, er könne diese Kontakte auch einmal für sich selber nutzen. Und es bleibe jede Menge Zeit, für seine kleinen Schreibprojektchen.

In seinen E-Mails wird er nicht konkreter. Auf Rückfragen reagiert er irritiert. Einsilbig, fast ausweichend; feilt lustlose Weiterleitungen in ironische Wendungen, Bemerkungen, die am Ende häufig wieder in seinem Büro enden, in dem er wieder halbwegs ungestört sei, in dem er tun und lassen könne, was er wolle, in dem er sich einfach wohl fühle – was will man denn mehr?

Man sitze auch in einem Büro, will man antworten. Dort rolle man gleichförmig nach vorne, nach hinten, bald zu den Seiten, bis man seinen Rhythmus findet und langsam mit dem Becken einen Kreis skizziert: als wolle man mit dem Schreibtischstuhl die PVC-Unterlage zirkeln und einen perfekten Kreis beschreiben. Die Kiwi und die Banane haben das Wochenende nicht überlebt. Die Banane ist braun und füllt den Raum mit intensiver Fäule. Die Kiwi bekommt schon nach leichten Berührungen Druckstellen – Haare fallen ihr aus. Der Drucker summt im Stillstand ein leises Lied dazu und begleitet meinen Blick zu den Buchreihen, die wieder angewachsen sind. Jedes einzelne wartet geduldig – ist es etwa aufgeregt? – in einer für ihn geschaffenen Reihe. Ein fast britisches Schlangestehen, wie an den Kassen die jungen Clubgänger in einer Freitagnacht, die amüsierwütigen Bücher vor dem Einlass. Man mime den Bookbouncer und entscheide über ihren weiteren Weg. Der Bouncer, der ihnen vielleicht ein Schlagwort verpassen wird, oder nicht – nach eingehender Untersuchung und Begutachtung, dann dürfen sie passieren. Die anderen wandern in eine andere Schlange. Wie viele werden es heute sein?

Die Risse an der Decke bilden eine angenehme Symmetrie, ein gleichschenkliges Dreieck mit einer Deckenecke. Verputz, der sich erst seinen Namen verdient, wenn er fällt. Ein alter Radiator lässt den Kopf hängen, auf dem Regal hinter mir. Zu recht. Es geht ihm gut unter dem abblätternden Bildnis Wilhelm Augusts von Holstein-Gottorf, wie man auf der rückwärtigen Leinwand plötzlich entdeckt. Er verbeugt sich würdevoll vor dem Fürsten, oder war es ein Herzog? Dessen rechte Hand ruht gelassen auf einem bleichen Globus, als streichele er zärtlich Afrika oder einen anderen südlichen Kontinent. Die Linke schaut aus einem Rüschenärmel hervor und hält einen geöffneten Brief mit rotem Siegel. Es scheint ihn nicht weiter zu interessieren, und so lächelt er mich milde von oben herab an. Der Globus steht auf einem goldgefassten Tisch, darunter stranguliert sich ein Erpel mit einem Seil. Auf ihm ruht ein Helm mit Federn, vielleicht Fasan, ein Ausschnitt einer Schweizer Karte – wahrscheinlich Mitte 18. Jahrhundert. Etwas Säbelrasseln ist zu vernehmen. Der Säbel und daneben ein Orden mit den Initialen I.H.S. Sind sehr auffällig. Warum hängt mir der noch jugendliche Wilhelm August im Rücken? Was sucht er in diesem Zimmer? Was suche ich?

Dem Radiator ist das egal. Er weiss, was sich gehört und stellt keine weiteren Fragen. Den nächsten Sommer wird er stromlos durchschweigen. Der Drucker summt dazu, summt das alte Lied seniler Ventilatoren. Mimikri. In meinem Jugendzimmer unterm Dach gab es einen grossen Deckenventilator. Ohne die Umwälzungen der Luft in den Sommern vieler Jahre wäre es dort nicht auszuhalten gewesen. Auf welchem Schrottplatz rostet er nun? Hat man ihn anständig begraben? Oder ist er nun eine Dose? Mein Blick fällt auf Maria. Aglaonema Maria lautet ihr vollständiger Name. Eine Zimmerpflanze, die ich zum Antritt der Stelle von meiner Abteilung geschenkt bekam. “Lichtbedarf gering. Giessen / Düngen: regelmässig”. Sie wird etwas unscharf, wenn man sie nur lange genug anstarrt. Von Zeit zu Zeit streichle ich etwas Staub von ihren wächsernen Blättern. 430795 15/19 – ein von mir noch nicht entschlüsselter Code auf ihrem Datenblatt am Rand des Topfes. Ich bilde die Quersumme, dann schenke ich uns etwas Wasser ein. Dünger ist noch genug vorhanden. Eine Verschlusskappe Algoflash reicht ihr in der Regel. Sie nimmt es gierig auf, verlangt dann etwas Wasser aus meinem Glas, und spült.

Ist der Drucker am Ende verstummt? Oder kann ich ihn nicht mehr von der faulen Stille des Raums unterscheiden? Hinter der Türe, auf dem Gang, schlurfen Schritte. Das Hören, also, funktioniert. Das linke Auge scheint aber etwas zu blinzeln. Mein Flackerauge, nenne ich es. Vielleicht sollte man doch mehr Früchte essen, ja, sollte sich dazu zwingen. Sie müssen sich dazu zwingen, wies man mich an, Vitamine zu essen, soviel ich könne. Mich trifft sein milder Blick. Vielleicht will er auch gar nichts von mir. Sucht etwas ganz anderes. Ich nehme noch einen Schluck, spende den Rest Maria. Der Schrank mit den Dubletten soll immer geschlossen sein. Ah, ja, richtig – und der Schlüssel fehlt. Die Schritte verhallen. Diesen Stapel verzehren wir nicht heute. Nein, diesen Stapel morgen, frühestens morgen. Wenn Maria nur nicht so viel saufen würde – kein Mensch kümmert sich um sie übers Wochenende. Ich muss wieder Wasser holen. Für sie. Für uns. Und jetzt. Der Gang scheint frei. Die zehn Meter zur Toilette sind ein Kinderspiel. Es besteht kein Risiko, also, wenn man es geschickt anstellt. Der Antwortbrief an Roman muss warten. Heute Mittag schreibe ich ihn vielleicht. Heute Mittag wäre ein guter Zeitpunkt für ein ganz zwangloses Treffen nach der Arbeit. Vielleicht zeigt er mir sogar sein Büro. Ein echtes Kulturbüro. Die Luft ist rein. Ich drücke die Klinke vorsichtig hinunter und schiebe langsam den Kopf in den Gang. Alles ist friedlich. Ich mache das auch für dich, Maria, und für mich. Ich bin gleich wieder da.

Büros (aus: Dranmor)