In I. erläuterst Du, welche Bedeutung und Folgen für Dich selbst die eigene Handschriftlichkeit besitzt. Welche Folgen hat darüber hinaus das handschriftliche Verfassen von Texten etwa in formalästhetischer Hinsicht und nicht zuletzt in Hinsicht auf den Inhalt des Textes und sein Bedeutungspotenzial? (sja)
Zu schreiben, oder überhaupt: an ein Schreiben zu denken, ausgehend von einer Idee, die sich noch auf der Suche nach ihrer Form befindet, einer kaum umrissenen Einheit also, die sich bislang lediglich in einer Wolke von Begriffen (tag cloud) zusammenziehen könnte, näherte ich mich dieser Unternehmung, wie auch schon einigen vorangegangenen, über ein Denken in Modulen, oder vielleicht besser: einem, wie bei vielen Schreibenden üblich, Erzeugungsprozess von kleinen Elementen, die in sich schon gewisse poetische Spuren oder Kerne, Ansätze oder Skizzen hinsichtlich eines Themas tragen, also möglicherweise einen Satz von Variablen darstellen, die aber offen genug sein müssen, als Gerüst und Baustelle eines grösseren Zusammenhangs zu dienen, gleichzeitig aber auch als unabhängige, frei stehende Skulptur figurieren könnten, soweit und insofern ausgeführt, dass ein klarer Gedanke oder eine Idee, zumindest extrahierbar, ableitbar oder zu erahnen wäre, dies wenigstens mit einigen, wenn auch kleinen Schnittmengen zu Elementen mit vielfach anderen Variablen. Dies sollte ein Grundzug sein dessen, was ich (auch jenseits aller klassischer Gattungen) immer wieder kleine Form (oder deren Sammlung) nannte, und die auch hier eine Rolle spielen soll.
Waren frühere kleine Formen und deren Verbünde ganz oder hauptsächlich fiktionale heterogene (Die Träume meiner Frau), fiktionale homogene (Dranmor, ein Passagenroman) Mischtypen aus Sach- und fiktionalem Text (Bibliotheca Caelestis), so geht dieser Ansatz noch einen Schritt weiter und bezeichnet als kleine Form o.g. Amalgam unterschiedlichster Textsorten. So gesehen, können also in einer (Ichschrift-)Einheit narrative, poetische, prosaische, assoziative, automatische oder automatisierte, deskriptive und transkriptive Passagen ineinander übergehen oder sich miteinander in Beziehung setzen, bzw.: sie werden miteinander konfrontiert. Erklärtes Ziel war es ausdrücklich nicht, solide, abgeschlossene Texte zu fabrizieren, die dann auf Kohärenz analysiert werden könnten, sondern so oder so ein Ergebnis anzustreben, eine Schrift, ein Schriftstück, das einen gesamten ästhetischen Prozess abbilden konnte, aber unter einem anderen Modus der Bewusstseinsübung. Vielleicht mag man das ein stark strukturalistisch beeinflusstes Verfahren nennen, aber, wie gesagt, soll diese Produktion, da nicht wiederhol- oder verfeinerbar, auf stabilen Parameter aufbauen, die ein spezifisches Gewebe oder Geflecht, zumal mit offenem Ausgang konzipiert, – und vor allem jenseits üblicher literaturkritischer Gattungsdiskussionen oder Bewertungen sprachlich auch wieder einzufangen vermag. Mit der hier also als Variante oder Spezialgattung vorgestellten kleinen Form soll also nicht eine poetische Schablone im herkömmlichen Sinne gemeint sein, sondern die Poetizität einer Textur meint hier gleichzeitig noch eine weitere, produktionsästhetische Kategorie im wortwörtlichsten Sinne mit. Das Hinzudenken der Bildlichkeit des Produkts und die Planierung (Nivellierung) inhaltlich ureigener, divergierender Textmuster durch die Oberfläche eines gleichgestaltenden Zuges (der Handschrift, nämlich). Weiter zu untersuchen, ob dieses Verfahren auch auf (fremder) Rezeptionsseite fruchtete oder bestimmte Effekte zeitigte, kann nun leider nicht von dieser Schrift geleistet werden. Aber aus eigener Beobachtung heraus, bin ich versucht zu sagen, dass, was die Beurteilung des eigenen Textes angeht, eine über die Handschrift produzierte, kleine Form tatsächlich qua solcherlei Massnahmen der Ästhetisierung von heterogenen Texten, und zwar viel mehr noch als kleine Form im o.g. Sinne gelesen wurde, als sie (6) bei der Wiederbeschäftigung mit diesen den Eindruck erwecken konnten. Oder, zeichentheoretisch gesprochen: arbeitet handschriftliches Schreiben direkt oder hat Einfluss auf den Inhalt eines Textes. Und: die Verbindung von Signifikant (Handschrift) und Signifikat ist eine andere, als letzterer mit typographischen Signifikanten.
—-
(6) vgl. Transkriptionsseiten, unten