(M49)
Ich versuchte es, entwarf den Grundriß nach den Angaben meines Meisters und stieß einen Freudenschrei aus. »Jetzt wissen wir alles! Laßt mich einmal zählen . . . Ja, die Bibliothek hat sechsundfünfzig Räume, vier siebeneckige und zweiundfünfzig mehr oder minder quadratische, von denen acht fensterlos sind, während achtundzwanzig nach außen gehen und sechzehn nach innen!«
»Und die vier Ecktürme haben jeder fünf Räume mit vier Wänden und einen mit sieben . . . Die ganze Anlage folgt einer himmlischen Harmonie, der sich vielerlei tiefe und wundersame Bedeutungen zuordnen lassen . . .«
»Großartig, wie Ihr das herausgefunden habt«, sagte ich bewundernd. »Aber warum ist es dann so schwer, sich darin zu orientieren?«
»Weil die Anordnung der Durchgänge keinerlei mathematischem Gesetz entspricht. Manche Räume gestatten den Durchgang zu mehreren anderen, manche nur zu einem, und vielleicht gibt es sogar welche, die gänzlich verschlossen sind. Wenn du das bedenkst, das und den Mangel an Licht und die Unmöglichkeit, sich am Sonnenstand zu orientieren (und dazu die Spiegel und die Visionen), dann begreifst du leicht, warum das Labyrinth imstande ist, jeden Eindringling zu verwirren, der es mit Schuldgefühlen betritt. Selbst wir waren gestern nacht ja ziemlich verzweifelt, als wir den Ausgang nicht fanden. Ein Höchstmaß an Konfusion durch ein Höchstmaß an Ordnung: wahrlich ein raffiniertes Kalkül. Die Erbauer der Bibliothek waren große Meister!«
Aus: Umberto Eco, Der Name der Rose. München, 1982. S. 136