Bibliotheken in der Werbung

(M19)

Die gezeigten Beispiele stammen allesamt aus den letzten zwei, drei Jahren. In den Spot für „Knoppers“ und „Pfanni“ („Freu Dich!“) geht es lediglich um das sekundenkurze Zitieren unproblematischer Berufe und um die Nachvollziehbarkeit der Freude, die auch bei angenehmen Arbeitsbedingungen in Pausen und nach Feierabend durch die „Belohnung“ mit kleinen Leckereien und schnelle Gerichte ausgelöst wird. Die jeweils gezeigten Bibliothekarinnen sind daher (gemessen an den gängigen Filmklischees), eher untypisch, jung und attraktiv. Wobei sie eben nicht bei der Arbeit, sondern bei deren Unterbrechung bzw. beim Beginn des Feierabends gezeigt werden. In der etwas längeren Werbung für „Oil of Olaz“ („Diese Frau hat ein Geheimnis“) – übrigens ein Plot von erlesener Blödheit – fungiert die gezeigte Uni-Bibliothek lediglich als Arbeits- und heterosexueller Begegnungsort für akademisches Jungvolk. (…)

aus: Manfred Nagl: Stille, Ordnung, Katastrophen. Bibliotheken im Film – Bibliotheken aus männlichem Blick? In: Bibliotheken in der literarischen Darstellung = Libraries in literature : [Referate des Seminars “Bibliotheken in der literarischen Darstellung / Libraries in literature”, das vom 10. bis 11. Oktober 1994 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel stattgefunden hat] / hrsg. von Peter Vodosek … [et al.]. – Wiesbaden : Harrassowitz, 1999. S.117f.

Bibliothek als Heimat

(M18)

Ja, das ist seine Heimat. Hier kann ihm nichts geschehen. Er lächelt bei der Vorstellung, daß ihm hier was geschehen könnte. Er vermeidet es, in die Richtung des Schlafdiwans zu sehen. Jeder Mensch braucht eine Heimat, nicht eine, wie primitive Faustpatrioten sie verstehen, auch keine Religion, matten Vorgeschmack einer Heimat im Jenseits, nein, eine Heimat, die Boden, Arbeit, Freunde, Erholung und geistigen Fassungsraum zu einem natürlichen, wohlgeordneten Ganzen, zu einem eigenen Kosmos zusammenschließt. Die beste Definition der Heimat ist Bibliothek. Frauen hält man am klügsten von seiner Heimat fern. Entschließt man sich doch, eine aufzunehmen, so trachte man, sie der Heimat erst völlig zu assimilieren, so wie er es getan hat. In acht langen, stillen, zähen Jahren haben die Bücher für ihn die Unterwerfung dieser Frau besorgt. Er persönlich hat keinen Finger dazu gerührt. Seine Freunde haben die Frau in seinem Namen erobert. Sicher läßt sich viel gegen die Frauen sagen, nur ein Narr heiratet ohne Probezeit. Er war so klug, bis zu seinem vierzigsten Lebensjahr zu warten. Diese achtjährige Probezeit soll ihm ein anderer nachmachen. Was kommen mußte, ist allmählich herangereift. Herr seines Schicksals ist der Mensch allein. Wenn man es genau bedenkt, hat ihm nur noch eine Frau gefehlt. Er ist kein Lebemann – bei “Lebemann” sieht er seinen Bruder Georg, den Frauenarzt, vor sich – , er ist alles, nur kein Lebemann. Aber die schweren Träume der letzten Zeit dürften mit seinem übertrieben strengen Leben zusammenhängen. Das wird jetzt anders.

Aus: Elias Canetti, Die Blendung, mehr …

Spiegel der Welt II

(M17)

Es gibt gleichfalls – und das wohl in jeder Kultur, in jeder Zivilisation – wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplazierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. Weil diese Orte ganz andere sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen, nenne ich sie im Gegensatz zu den Utopien die Heterotopien. Und ich glaube, daß es zwischen den Utopien und diesen anderen Plätzen, den Heterotopien, eine Art Misch- oder

Mittelerfahrung gibt: den Spiegel. Der Spiegel ist nämlich eine Utopie, sofern er ein Ort ohne Ort ist. Im Spiegel sehe ich mich da, wo ich nicht bin: in einem unwirklichen Raum, der sich virtuell hinter der Oberfläche auftut; ich bin dort, wo ich nicht bin, eine Art Schatten, der mir meine eigene Sichtbarkeit gibt, der mich mich erblicken läßt, wo ich abwesend bin: Utopie des Spiegels. Aber der Spiegel ist auch eine Heterotopie, insofern er wirklich existiert und insofern er mich auf den Platz zurückschickt, den ich wirklich einnehme; vom Spiegel aus entdecke ich mich als abwesend auf dem Platz, wo ich bin, da ich mich dort sehe; von diesem Blick aus, der sich auf mich richtet, und aus der Tiefe dieses virtuellen Raumes hinter dem Glas kehre ich zu mir zurück und beginne meine Augen wieder auf mich zu richten und mich da wieder einzufinden, wo ich bin. Der Spiegel funktioniert als eine Heterotopie in dem Sinn, daß er den Platz, den ich einnehme, während ich mich im Glas erblicke, ganz wirklich macht und mit dem ganzen Umraum verbindet, und daß er ihn zugleich ganz unwirklich macht, da er nur über den virtuellen Punkt dort wahrzunehmen ist. (…)

In: Michel Foucault, Andere Räume, aus: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig 1991. mehr

Die Taten

(M15)

Nicht darauf, dass man die gleichgültigen Umstände ihrer Entstehung und ihrer allmählichen Vermehrung mit einer ängstlichen Gewissenhaftigkeit her erzählet; …. sondern darauf, dass man zeiget, wozu es denn nun auch der Gelehrsamkeit und dem Gelehrten genutzt habe, dass so viele Bücher mit so vielen Kosten hier zu Haufe gebracht worden. Das allein sind die Taten der Bibliothek: Und ohne Taten gibt es keine Geschichte.

Gotthold Ephraim Lessing, von 1770 bis 1781 Bibliothekar an der Herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel