404 / A2S3(1)

(D16)

Akt 2, Szene 3

Licht in R1 bis R3. In R1 sitzen Käs und Sachwitz am Computer und gehen Listen durch. In R3 befinden sich Flugs, Flitz und Weber am Sitzungstisch und diskutieren. In R2 befinden sich Maler und andere Handwerker. Regale werden abgebaut. Beschriftungen, Wegweiser und andere Pfeile in verschiedensten Signalfarben werden aufgehängt bzw. aufgestellt. Ältere Hinweisschilder werden ersetzt.

R1

KÄS (liest aus der Liste vor, während Sachwitz die Daten in den Computer eingibt): RAA 14627.

SACHWITZ: Noch nicht eingetroffen.

KÄS: FHB GN 4190.

SACHWITZ: Ist vermisst.

KÄS: Litt var XI 532.

SACHWITZ: Fehlt.

KÄS: Das kann doch nicht sein.

SACHWITZ: Steht da. Bitte (weist auf den Bildschirm).

KÄS: RAC 4692.

SACHWITZ: Wurde ausgeschieden.

KÄS: RAB 94410.

SACHWITZ: Bestellung storniert.

KÄS: Verdammt! Ja glauben die denn etwa …

SACHWITZ: Die Benachrichtigungen an die Kunden darf wohl wieder alle ich schreiben?

KÄS: Ach was, ich helfe Ihnen lieber dabei. Sonst sitzen wir morgen noch dran. FHB EC 3700.

SACHWITZ: Ausgeschieden. Text als elektronische Ressource verfügbar.

KÄS: Lassen Sie mal sehen.

SACHWITZ: Achtung. Zugriff erfolgt.

(Beide starren eine Zeit lang auf den Bildschirm, dann stöhnen sie auf.)

SACHWITZ: 404. File not found. Soll ichs noch mal probieren?

KÄS: Nein. In diesem Falle müssen wir einen Vermerk schreiben. Nach DA12 ist zunächst eine Meldung an die IK4 zu richten. Das wäre der Ansprechpartner … (blättert in einer anderen Liste) …

SACHWITZ (blättert ebenfalls in einer anderen Liste): Ein Herr Bauer.

KÄS: Theodor Bauer. (Zitiert weiter) Die Fehlermeldung ist in angegebenem Wortlaut in das Formular FF3 Absatz 2 zu übertragen und eine Priorität zu vergeben.

SACHWITZ: Das Formular befindet sich …

KÄS: Wie immer im Intranet. Und zwar (greift Sachwitz über die Schulter) hier.

(Beide starren eine Zeit lang auf den Bildschirm, dann stöhnen sie auf.)

SACHWITZ: 404. File not found.

Die Panne / A2S2(3)

(D15)

Diese Einlage wird im Verlauf immer ekstatischer. Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erheben sich von den Bänken und bewegen sich und klatschen mit dem Chor, singen vereinzelt mit. Im Hintergrund drängt sich eine verdächtige Person zur Tür und aus dem Raum (Theo Bauer?). Über den R1-Lautsprecher wird die Szene mit Musik unterlegt. Flugs spricht besonders auf die Darbietung an und steigert sich beinahe in einen tranceähnlichen Zustand. Kurz vor dem Höhepunkt stürzt plötzlich die Powerpointshow ab, die Musik aus dem Lautsprecher bricht ab, ebenso die farbige Illumination in den Raumecken. Das Notlicht geht an. Unruhe kommt auf. Menschen drängen zu den Türen. Diskussionen, Gelächter, aber auch vereinzelt panische Reaktionen sind zu vernehmen bis sich aus R3 Weber über Mikrophon meldet.

AUTOMATENSTIMME: Durchsage 1320.

WEBER: Liebe Kolleginnen und Kollegen. Bitte seien Sie unbesorgt. Es ist nichts geschehen. Die Abteilung IIT, äh IK meldet mir gerade eine kleine Störung. Ein Systemabsturz eines Teils unserer Server hat für diesen Unterbruch gesorgt. Bitte bleiben Sie an Ihren Plätzen. Das System muss wieder neu gebootet werden. Bitte bleiben Sie an Ihren Plätzen. Es geht gleich weiter.

AUTOMATENSTIMME: Ende der Durchsage.

Blackout

Let’s swing / A2S2(2)

(D14)

Während Maurer nun an einem Laptop die automatisierte Powerpointshow startet mit den den Zuschauern schon bekannten Organigrammen, Listen und lächelnden Menschen, tritt ein kleiner Gospelchor zur Seite heran und fängt zunächst langsam zu swingen und klatschen an.

NEUMANN (singend, noch etwas verkrampft): Oh, joy.

CHOR: Oh, joy.

NEUMANN: Oh yes, oh joy.

CHOR: Oh yes, oh joy.

NEUMANN und CHOR (folgenden Text variierend):

Oh, joy! to see the Library staff perpetually jogging

And to see the Cataloger in the act of cataloging

(…)

All the ologies of the colleges, all the isms of the schools,

All the unassorted knowledges she assorts by Cutter’s rules;

Or tags upon each author in large labels that are gluey

Their place in Thought’s great Pantheon in decimals of Dewey;

Oh, joy! to see the Library staff perpetually jogging,

And to see the Cataloger in the act of cataloging.

CHOR: Oh yes, oh joy.

MAURER (ebenfalls singend): Was machen wir?

CHOR: Wir machen es neu?

MAURER: Wie wird es gemacht?

CHOR: Schnell und effizient?

MAURER: Und wie sind wir?

CHOR: Wir sind offen und freundlich.

NEUMANN: Und wer sind wir?

CHOR: Wir sind ihre Bibliothek.

WERBETRAILER: Wir sind ihre Bibliothek.

CHOR: Ja. Wir sind ihre Bibliothek.

MAURER: Ja, was macht ihr?

CHOR: Wir machen tolle Arbeit.

NEUMANN: Woran glaubt ihr?

CHOR: An Schnelligkeit und Effizienz.

MAURER: Und woran noch?

CHOR: Wir glauben an die Zukunft.

NEUMANN: Und woran weiter?

CHOR: Auch an unsere Kunden.

MAURER. Und woran noch?

CHOR: An unsere Server.

NEUMANN: An welche Server?

CHOR: An die Server der Bibliothek.

MAURER: Was ist ein Buch?

CHOR: Eine potentielle Datei.

NEUMANN: Was geschieht mit dem Buch?

Warm up / A2S2(1)

(D13)

Akt 2, Szene 2

Licht in R1 bis R3. Sachwitz am Computer in R1. Weitere bibliothekarische Hilfskräfte in R1 und R2, die bibliothekarische Dinge verrichten. In R1 werden Holzbänke aufgebaut. Im Sitzungszimmer R3 am Tisch: Weber, Käs, Fröhlich, die Protokoll führt. Kadersitzung! Meeting!

WEBER: … um unsere Leistungen nach aussen bekannter zu machen und zu verbessern. Interne Schulungen ist nicht nur ein Zauberwort, sie verbessern zusätzlich auch die interne Kommunikation. Auch das Miteinander, wenn Sie so wollen. Sie wurden darauf vorbereitet und es soll zunächst ein kleiner Anfang sein. Was wir heute versuchen …

FRÖHLICH: Soll das auch ins Protokoll?

WEBER: Das bitte noch nicht. Äh, zumindest nicht in dieser Form. Wir sprechen später noch einmal darüber. Hm, die Zeit. Wie spät haben wirs denn jetzt?

FLUGS: Kurz vor halb elf.

WEBER: Gut, danke. Nun ja, Sie haben alles weitere im gestrigen Memo erhalten. Und es soll zunächst ein Versuch, sagen wir: ein Test sein. Frau Fröhlich, sind die Damen und Herren von Jäger & Meister schon da?

WERBETRAILER: Wenn Sie es noch nicht wissen: Wir sind Ihre Bibliothek.

FRÖHLICH: Sind sie. Sie warten.

WEBER: Dann bitte ich Sie um die Durchsage, Frau Fröhlich, wie abgemacht. Und Sie bitte ich, mir zu folgen.

Die Anwesenden bis auf Fröhlich folgen Weber langsam über R2 nach R1 und setzen sich dort nach diversem Händeschütteln und Geplauder auf die Holzbänke.

AUTOMATENSTIMME: Durchsage 1319.

FRÖHLICH: Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wir möchten Sie noch einmal daran erinnern, dass in wenigen Minuten, also um Punkt 10Uhr30, eine betriebsinterne Schulung stattfinden wird. Wir bitten Sie um zahlreiches Erscheinen.

AUTOMATENSTIMME: Ende der Durchsage. (Fröhlich geht ab nach R1).

R1 füllt sich langsam. Das Licht wird langsam abgedimmt. Im Vordergrund fährt langsam eine Leinwand herunter, die sozusagen spiegelbildlich vom Publikum eingesehen werden kann. Man sieht zunächst einen Bluescreen. Dann baut sich die Startseite einer Powerpointshow auf. Die Ecken des Raumes werden allmählich bunt ausgeleuchtet. Gespräche werden leiser, gehen in Flüstern über, Raunen, Räuspern, andächtige Stimmung entsteht, wie kurz vor einem Gottesdienst. Fröhlich geht umher und verteilt Handouts. Dann erscheinen Neumann und Maurer im Raum, platzieren sich links und rechts unter der Leinwand. Sie haben wieder dunkle Designeranzüge an, darunter allerdings nun weisse Pullover mit übergrossen Rollkrägen.

JÄGER (über Lautsprecher in R1): Liebe Anwesende. Ich freue mich von ganzem Herzen, dass Sie heute so zahlreich erschienen sind. Wie Sie vielleicht wissen, geht es bei diesem Kickoff (räuspert sich), geht es bei dieser heutigen Veranstaltung zunächst um ein erstes Zusammensein. Eine Art Einstimmung auf die Dinge, die noch folgen sollen. Wir wollen Sie darüber informieren, welchen Weg ihre, ähem diese Institution in den kommenden Wochen und Monaten, ja, vielleicht Jahren gehen wird. Viele Veränderungen wurden schon eingeleitet, erfolgreich umgesetzt, wie wir rückblickend sagen dürfen, aber viele Dinge sind noch zu tun, um dieses Haus wieder zu dem zu machen, was es einmal war, ja vielleicht zu einer Einrichtung, wie sie es noch nie gegeben hat. Wir rechnen da ganz fest mit Ihrer tatkräftigen Unterstützung und freuen uns auch in Zukunft auf eine produktive Mitarbeit Ihrerseits. Meine beiden Assistenten werden Sie nun mit weiteren Details versorgen. Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute und verbleibe mit freundlichen Grüssen (Lautsprecherknacken).

Ich bin da! / A2S1(3)

(D12)

R1

KÄS: Ich sage nur: Datenmigration.

SACHWITZ: Und erst die Lizenzverträge.

KÄS: Die schlucken alles. Selbst die Direktionsreserve.

SACHWITZ: Hilft aber nix. Wir sind benutzerfreundlich.

KÄS: Kundenfreundlich.

SACHWITZ: Anwenderfreundlich.

KÄS: Anwenderinnen- und anwenderfreundlich.

SACHWITZ: Zu allen freundlich.

KÄS: Am Ort der Freundlichkeit.

SACHWITZ: Am Ort der Freundschaft.

KÄS: Auf die Freundschaft!

SACHWITZ (während sich die beiden in die Arme fallen): Auf die Freundschaft!

AUTOMATENSTIMME: Durchsage 925. Gesucht wird das Buch mit der Freihandsignatur „ig 38141“ und dem Titel „Von der Freundschaft“ von Michel de Montaigne. Wir erbitten Rückmeldung an 4426. Ende der Durchsage.

R3

Die Powerpointshow wirft mittlerweile nur noch Bilder von lächelnden Singles, Paaren, Familien, Rentnern bei unterschiedlichen Tätigkeiten aus.

NEUMANN: Ein kleines bisschen effizienter.

MAURER: Nur ein wenig offener.

NEUMANN: Zukunftsorientierter.

MAURER: Es steht doch der Mensch im Zentrum.

WEBER (eingeknickt, wirkt gebrochen): Wir sind Dienstleister, ich weiss.

NEUMANN: Wir stehen für eine neue Zeit.

MAURER: Und Sie müssen wissen, wofür Sie stehen!

WEBER: Aber es ist doch alles längst zu spät.

NEUMANN: Nichts ist zu spät.

MAURER: Zu spät sind die anderen.

WEBER (weinend):  Aber ich kann das alles nicht. Ich bin doch auch Buch. Zu viel Papier um zuwenig Papier. Verstehen Sie nicht? Ich steck doch zwischen Deckeln. (Wird lauter, bald schreiend). Ich kann brennen. Ich gehöre ins Regal. Ja. Ich bin auch noch da, wenn das Licht erlischt. (Schreit). Ich bin da! (Beginnt an seinen Abzeichen zu reissen, Neumann/Maurer wollen ihn beschwichtigen und halten ihn fest).

JÄGER (via Lautsprecher): Ruhig, lieber Dr. Weber. Ganz ruhig. Wir können Sie ja gut verstehen. Änderungen von eingespielten Abläufen können uns manchmal verunsichern, ganz besonders, wenn man noch nicht so genau weiss, wie es werden wird. Aber dieses „wie es werden wird“, das liegt hauptsächlich an uns und da zähle ich auf Sie. Es wurden ja schon Leitsysteme montiert. Aber für unser inneres Leitsystem, da müssen wir uns noch etwas Zeit lassen. Wir brauchen Geduld. Geduld mit uns selbst und mit den Kolleginnen und Kollegen.

Wir nehmen uns Zeit, die wir für das Zusammenkommen brauchen und wir erinnern uns gegenseitig immer wieder an unser Ziel. Wir schaffen es, eine Institution zu werden mit professionellen Dienstleistungen für Lehre, Forschung und Öffentlichkeit. Wir schaffen das! Ich zähle auf Sie und bin sicher, dass wir dereinst stolz auf das Geleistete zurückblicken werden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende und bin, mit den besten Grüssen, Ihr Dr. Jäger.

Weber entspannt sich in der Zwischenzeit sichtlich. Maurer/Neumann kehren an ihre Plätze zurück.

Blackout