Vorwort zu DTmF (V1)

Es wird Ihnen unglaublich erscheinen. Wenige Tage nach unserem Umzug fanden wir in einer zu der Wohnung gehörigen Kellerparzelle eine alte, zurückgelassene oder vergessene Holzkiste mit der Aufschrift “Die Träume meiner Frau”.

Darin ein Konvolut vergilbter Zettel und Registerkarten, wahrscheinlich Eigentum des verstorbenen Vormieterpaares. Neugierig geworden, versuchten wir das seltsame Material zu ordnen, ja, erst einmal zu lesen, denn auch die Schrift war von der Zeit stark in Mitleidenschaft gezogen worden, brüchig und teilweise verschwunden. Die kleinen Texte waren fast alle mit einer rätselhaften Zeichenfolge ausgerüstet, für die wir aber erst später eine Erklärung suchten und hoffentlich gefunden haben. Wir haben weiter versucht, das Material wieder zugänglich zu machen, d.h. es zu transkribieren, zu ordnen und – wo es nötig war, Unlesbares oder Unsicheres zu ergänzen bzw. auszudeuten.

Dem seltsamen Code nebst anderen Bemerkungen über diesen Notizen hatte man wohl eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Wir vermuten also, es sind Protokolle und Teilergebnisse eines grösser angelegten Experiments, das wohl nicht zuende geführt werden konnte. An dieser Stelle danke ich meiner Frau für ihre Mithilfe an diesem Projekt. Besten Wissens und Gewissens übergeben wir Ihnen heute “Die Träume meiner Frau”.

Die Syntax als Semantik (DTmF)

Um noch einmal zu präzisieren: die Signierung der Stoffe ist als ironisches Verfahren gedacht, auf das ich nicht verzichten möchte. Ironisch, weil es natürlich eine Art Scheinwissen oder Scheinforschung suggeriert. Diese Form der Offenlegung einer Pseudo-DNA der Texte ist zwar einigermassen positivistisch (wie die angedeutete, aber noch weiter zu bearbeitende Legende zeigt) und die Ordnungen (und damit Sortier- bzw. Lesbarkeiten) der Texte, wenn auch nur bedingt erkenntnisbringend, so doch nicht an den Haaren herbeigezogen. Aber noch einmal ironisch, weil die vorgegebene Struktur der Signatur (ihre Syntax), die die alle Texte umschliessende Formel (oder: Ästhetik) ist, hinter der sich das Subjekt versteckt. (…) Unterstützt werden soll diese Labelung durch die jeweilige Vergabe eines descriptors, der ein geregeltes Vokabular bzw. einen Thesaurus impliziert, aber nur eine Assoziation zum Text und auch Texttitel ist. Jeder (Der) Metatext ist (hier) also nur Paratext, sozusagen.

Wege zum Manuskript (DTmF)

Liebe Leserin, lieber Leser

Wie Sie vielleicht bemerkt haben, wurden bis auf einige Ausnahmen die einzelnen Stoffe der Reihe Die Träume meiner Frau vom Netz (d.h. vom Weblog) genommen**. Die Rohmaterialien bleiben allerdings weiter im Readerbereich. Die übrigen ausgewählten dienen noch als Beispiele und Belege bzw. deren Kommentare* sind relevant für die Reihenstruktur. Aus den 100 Stoffen werde ich nun ein (ca. 110-seitiges) Manuskript basteln. Vorerst wird das Material gesichtet, leicht bearbeitet und klassifiziert, d.h. es wird mit einer Signatur und einem natürlichsprachigen descriptor (der später auch title-funktion hat) codiert. Das wird allerdings einige Tage (Wochen?) in Anspruch nehmen. Hier finden Sie ein Beispiel (Ausschnitt):

Die Vorgehensweise, die Ver- und Entschlüsselung, die auf die Mehrdimensionalität und Tiefenstrukturen des Materials hinweist und damit multiple Gruppierungsmöglichkeiten eröffnet, ist in Ansätzen hier (v.a. in den Kommentaren) beschrieben. Weitere Stufen und Schritte werden beizeiten bekannt gegeben. Das literarische Weblog “taberna kritika” wird wahrscheinlich wieder ab nächster Woche bedient …

“Ein Traum, was sonst?”, gibt Kleists Prinz von Homburg im letzten Auftritt des fünften Aktes Kottwitz als Frage zurück. Worauf sich aber die (Vor-)Frage bezieht, so eine Lesart (Kottwitz: “Nein, sagt! ist es ein Traum?“), bleibt offen.

Ich wurde nach einer sehr allgemeinen Beschreibung zu diesem Konvolut gefragt. Heute möchte ich behaupten: Diese Arbeit versteht sich als Arbeit am Traumbegriff (Der Traum als Text / Der Text als Traum) bzw. der plakativen Ausstellung menschlicher Unmöglichkeit adäquater Deutung bzw. “Ordnung der Dinge”.

* noch online: 94, 91, 88, 78, 77, 76, 75, 72, 71, 69, 58, 43, 33, 22, 21

** (strike-edit: 19.05.), alle texte sind nun offline

100

Gegen Fertigungen. Gegen reuigen Eiter. Er neigt in nur ein Etui: Ein Tiger. Ein tiefer, enger Eifer reift ihn ein. Einen Einer reiten. In Ferien gegen Güte feiger Gerten. Gegen Grete. Ein Grete-Reiten in eure Neigungen. Eure Figuren gürten in einer Gier.

Ein Tier reiten. Gerne in Eiger, rief er. Rief Gunter. Eine neue Egge turnen. Eine Gute. Eine Grüne. Ungern genug … Nein, Ennui.

99

Aus der Ferne scheint es eine kleine, vertikale Krümmung auf dem Plateau. Die Annäherung mit kurzen Schritten lässt aber bald eine bucklige Figur entstehen, die gegen die untergehende Sonne mit den Ärmchen rudert. Noch ein paar Hundertmeter lassen sie schon ein Traktätchen wedeln, in der linken Hand, die – von der rechten festgehalten – das Papier zur Ruhe kommen lässt, sodass sich darum auch seine Stimme kümmern kann. Nur wenige Fusslängen trennen mich von dem Männchen auf der wackligen Kiste aus Holz.

Es ist der vollbärtige Anarchist mit seiner kunstvollschwarzen Hochfrisur aus dem zweiten Semester. Jetzt spielt er die Mundharmonika. Bald beginnt er zu tanzen, springt mir auf die Schultern, macht es sich dort gemütlich und blickt in die Ferne.