Salzkristalle & Trüffelpilze (Auszüge, 11/2011)

Das einfache Schweizer Volk: Kennst du das Land, wo die Melonen schwellen?

Ich: Präteritum!

Das einfache Schweizer Volk: Häh?

Ich: Kannte. Ich kannte es. Oder aber: Schwellten. Ich kenne Land, wo es schwellte. Heute wachsen dort eher runzlige Zitronen …

Möchten Sie als Lehrer lieber von einem ehemaligen Lehrer, einem Lehrer oder von jemandem, der nie Lehrer war, kritisiert werden? (Beruf austauschbar)

Lange lebe der Märtyrer!

Es ist zwar schon lange her – aber was sind schon Jahrhunderte gegen Jahrtausende? – Und also würde es sich sehr wohl lohnen, Städte, Länder und andere geographische Orte, die nach dem ewig-gleichen Christenprinzip Trinidad etc. heißen, endlich nach den wahren Kulturträgern zu benennen: Krausiana, zum Beispiel.

(Doch) Die konstitutionelle Grundveranlagung der Geschichts-Attenäter darf nicht in erster Linie als welthistorischer Kausalzusammenhang gesehen werden: Sie sind alle bloß irrsinnig (und der ›Zusammenhang‹ kommt von ganz woanders …) …

Verbibäbelung.

Kunst-Genießer sind Schattengenießer? – »Glaubt ihr denn, es gebe auch nur den geringsten Unterschied zwischen denen, die in der bekannten Höhle Platons bloß die Schatten und Abbilder […] sehen und bewundern – […] und dem […], der die Höhle verlässt und die wirklichen Dinge erblickt?«

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Salzkristalle & Trüffelpilze (Auszüge, 10/2011)

Selbst wenn die Worte leer geworden sind: Sie reden immer ein auf ein Sensorium, das irgendwie registrieren kann.

Wieso dieser scheinbar unbeirrbare Glaube an die Beweglichkeit der Welt, dem sogar Greise noch anhängen?

Wer würde nicht gerne in der Brusttasche einer Amme wie Gullivers auf Brobdingnag sitzen?

Dass einem nach einigem Altern die Sprache schrumpft: Wie soll man es verhindern? Sonst ist man ja nur einer der dummschwätzigen Politiker, Kleriker, Militärs. Wer als Greis noch munter reden kann, hat sein Leben bloß verschwatzt.

Man sollte es vielleicht noch einmal versuchen. Man sollte sich so ein junges Weinen ins Bett holen und es mit Vorsicht und Zartheit umgeben. Man könnte vielleicht helfen, dass ein schönes Schluchzen daraus würde.

Und man sollte mit Literatur etwas ausrichten gegen diese archaisch gefangenen Konstitutionen, die in jedem infantilen Chaos ihr Ur-Milieu wiedererkennen und süchtig sich einsaugen lassen von jeder Gelegenheit, in die wohlige Schwäche der Unterlegenheit zurückzukehren (zurückzukarren) und auch in deren phantasiertes Widerbild: in die Sucht nach Omnipotenz – zumindest der Massen?

Schriftstellern: Handübungen für die Unfreiheit der Wahlverwandtschaften.

Und belegen ihr Recht, mitreden zu dürfen – auch wenn sie zigmal leicht verführbar waren –, ganz einfach mit dem Atem, der ihnen nicht ausgegangen ist; abgestellt hat man den nur jenen, die nicht verführbar waren.

In Romoos scherzten die Jungen alle, sie möchten ruhig jung sterben, das gäbe ein schönes »Helgeli«. Einen hat es dann tatsächlich jung erwischt. »Der hat das immer gewusst«, sagen sie heute. – So wählt sich das Volk seine Helden.

Indianer Lachendes Wasser gebietet den Buchstaben: Buchstaben, tötet alle Zeit-Ekel. Zeit-Ekel: Uhr-iiiiii …

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Salzkristalle & Trüffelpilze (Auszüge, 09/2011)

Diese gerade noch die schwebende Balance haltende Gratwanderung zwischen einigermaßen befriedigtem Leben (Popper) und Entlarvung der Lebenslüge im Sinne Nietzsches und Ibsens …

Bereits wenn wir in die Welt gepresst werden, scheißt uns der Mutter-Darm voll, kaum haben wir den Kopf draußen: Scheiß-Welt! (Aber zum Glück kam ich per Kaiser-Schnitt zur Welt: saubere Hände, muss waschen, waschen, bis alles Blut weg ist, Hände waschen, waschen, waschen …)

Besonnenheit in Gefahr, wenn Sprache menscht!

»Ah, Du willst knutschen.« Sie zieht ein Textilzettelchen aus der Turnhose. »Meine Adresse. Immer nur leicht angenäht … 🙂 «

Ich: »Praktisch …«

Stifters Landschaft (Skizze Arno Schmidts) und Kubins Todessprung: Was schwingt bei wem mit?

Unsterblicher liebt Sterbliche. Er wendet sich kurz ab – sie ist alt und stirbt. … Sein ganzes Dasein ist danach Gesang nach ihr.

Die Künstler bauen Paradiese aus Erinnerung, vielleicht als klitzeklein‘ Tabu dagegen, dass man den Kain mit Erbverdammnis austrieb: Unstet und flüchtig sollst Du sein – sie sind es, im Werk, nicht.

Denn die Tumben sind seine Schäfchen, die das Sterben nicht erleben, weil sie in ihrem Denk- und Empfindungskreis eingeschlossen bleiben. »Ihr werdet den Tod nicht schauen.« – Es erfüllt sich in grotesker Weise.

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Salzkristalle & Trüffelpilze (Auszüge, 08/2011)

Der auferstandene N–Ni–Nietzsche dichtet:

Ich steh‘ und horch‘: Was konnt‘ mich irren?

Was hör‘ ich in den Ohren sirren?

Wie jeder, den noch Ketten kirren

Hör überall ich – Kettenklirren

Subversivität, wie sie in der Kunst so oft gefordert wird, wäre unter anderem dadurch zu definieren, dass sich etwas möglichst deutlich von zumindest seiner Zeit abhebt – und möglichst vielen anderen; was am längsten überlebt, ist am deutlichsten nonkonform: die tatsächlich beste Literatur, die elitärste Literatur als subversivste Form des Gegenlebens.

Im Reich des Geistes gibt es selten Platteres als eine Autographensammlung: in Zellophan gehortete Hoffnung auf Kommerzialisierbarkeit fremden Ruhms.

Hören wir im Innern des Mutterleibs so was wie ›Sphärenklänge‹ (von den Blutbahnen)? Und sofort nach der Geburt – nicht mehr geschützt vom Uterus, aber auch nicht mehr umgeben von Blutbahnen – hören wir sie nicht mehr? Weshalb die Kindchen nach der Geburt sofort schreien: sie meinen, ertaubt zu sein und müssen es sich beweisen, dass sie noch hören.

Was ist Sentimentalität? Die emotionale Promiskuität jener, die keine echten Gefühle haben.

Charles Fourier ist das gute Beispiel eines zum Glück weit verbreiteten Phänomens: Seine Hauptideen sind offensichtlich falsch, die praktischen Konsequenzen, die er daraus zieht, jedoch äußerst lebenstauglich.

Wenn alles verloren ist – werde ich Schriftsteller sein.

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Salzkristalle & Trüffelpilze (Auszüge, 07/2011)

Ist ein literarischer Text, was die Partitur in der Musik? Was bringt ihn dann zum Tönen? Oder ist er bereits, was die Aufführung bei der Musik? Was wäre dann bei einem Text die Partitur?

Utopia: Der in die Literatur verpflanzte Wunsch nach Totalplanung und einem Höchstmaß an Ordnung erwächst aus der widerborstigen Erfahrung an der Realität – entwirft aber oft genug in seinen Gegenbildern eine Gegenwirklichkeit, die der Realität verdammt nahekommt.

Der kastrierte Kater wartet auf Streicheleinheiten von seiner Kätzin wie der Mönch auf eine Berührung Gottes. Beide lassen sich von einer gewöhnlichen Hand täuschen.

Der von Abscheu getriebene Schriftsteller: Die Kernphantasie vom Einschlag eines Meteors in eine geordnete Welt.

Der Schweizer redet mit gespaltener Zunge: Die Diglossie presst ihn dazu.

Das Schreien des Kleinkindes: Es ist der Urklang all dessen, was sich in uns gegen die Welt sträubt und uns selbst. In der Literatur ist das Urgewaltige sublimiert zu einem Klagen, das man den Worten einzeln so nicht mehr ansieht; in jeder hervorragenden Literatur ist der ursprüngliche Ton dennoch zu hören – tief unten im Text, zwischen den Zeilen, in der Gesamtheit des Textes an sich, als Klage an die Welt.

Was träumt die Karotte?

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