überschreibungen 22

(verhören / versprechen)

die letzte überschreibung dieser version und gleichzeitig das einläuten einer nächsten runde des überschreibens, markierens, verdichtens, eigentlich: des glättens und ausdeutens. der berg des zu bewältigenden ist noch gross und ich bin fast geneigt, das pensum etwa zu kürzen. d.i.: 1. vielleicht den geplanten schluss-essay über „fliegen und/in der literatur“ zu streichen, oder daraus nur eine kleine reflexionspassage zu machen, zusammen mit dem verbleibenden, exzerpierten material aus dranmors berichten zur gescheiterten kolonialisierung brasiliens. dies alleinstehend als kapitel X – aber das sieht dann möglicherweise etwas geschröpft aus. oder/und 2.: mir zu überlegen, ob ein weiterer metatext (der kopfzeilentext: sie liest mich) wirklich nötig ist. vielleicht sollte man den erzähler einfach in der luft hängen lassen. vielleicht ist aber auch einfach erst einmal die luft ausgegangen, nach der ersten überarbeitung, sodass eine dranmorpause von einigen wochen gut täte. es gilt auch, sich auf das andere* projekt (DTmF) zu konzentrieren und es zügig zu ende zu bringen. (). mit neuen ideen und neuer energie wird also arbeit an dranmor anfang herbst wieder aufgenommen. (). soll diese überschreibung eine fortsetzung der tristesse (oder soll man sagen: der melancholische ton) der letzten kapitelhälfte sein? ich hoffe nicht. dass es eine gewisse tristesse in diesem abschnitt gibt, ist nicht von der hand zu weissen. aber ist das bei abschiedsszenen und natürlich bei ordentlichen büchern, von denen man sich verabschieden muss nicht immer so? nach zuende geschlagenen bögen. hier: die rückkehr () in eine art scheinnatürliches leben (der wald, die tiere, diese art von urszenen) mit mythologischen elementen ist noch einigermassen nachvollziehbar (wenn noch nicht geschildert, so zumindest) angelegt. (es muss sprachlich noch einiges getan werden. noch wirken die sätze, die abschnitte wie wenig zusammenhängende, um sich kreisende mikroorganismen und auch etwas verstreut – was auf formaler konzeptioneller ebene allerdings wiederum konsequent ist). die vermischung, durchkreuzung, überlappung von motiven, genres, figuren (zb walden-thoreau, die hellinger-aufstellungen, das sprechen der tiere und pflanzen, die anlage bzw. umsetzung der idee einer universalsprache): das kleine schreibuniversum scheint förmlich in diesen passagen zu implodieren. vielleicht ist darin auch ein weiterer krimi angelegt (die verhörsequenzen des erzählers etc., der zunehmende sympathieverlust sabinas): das alles ist noch unfertig, scheint mir aber in anlage und von der disposition her richtig. bspw. (ich paraphrasiere etwas): die waldgruppe plus erzähler, die versuchen über variante (familien)aufstellungen den erzähler zu therapieren und damit auch den ganzen text persiflieren oder/und verschiebungen simulieren (die motive auf personen), wie es schon auf ebene der passagen als einheiten sichtbar ist. bedeutungen, zeiten, figuren verflüssigen sich, oder: fliegen. und also tut es am ende auch der erzähler, bzw. will es erlernen oder fühlt sich dazu von sabina genötigt. ob der erzähler tatsächlich fliegt und noch ein dranmorgedicht rezitiert oder letztlich wie ikarus in die aare stürzt, sollte, wie die position des ichs bei dranmor und den überschreibungen: unentscheidbar sein.

es ist genau diese unentscheidbarkeit, wie sie sagte, und sie sagte: unentschiedenheit. weshalb sie mich verliess. und damit diesen text. ich schicke ihr das bearbeitete manuskript hinterher. ich schicke es an die letzte mir noch bekannte postadresse, seit ihr anrufbeantworter nicht mehr mit mir spricht. ich schicke es an die letzte mir bekannte adresse und warte nun, warte auf ihren anruf oder einen irgendwie gesetzten punkt.

*(inwiefern dieses projekt “anders” bzw. ähnlich ist, ist wird noch a.a.o. geklärt, stichwort: konstruktivismus). CONTAINER: zu der in einem Kommentar (IX,5a Kaum günstigere Bedingungen) von Markus Hediger zu forcierende Nachvollziehbarkeit des Schwenks des Romans ins Mythologische/Fabelhafte, (bspw. in Form einer früheren Ankündigung oder Auslegung von Spuren): im Haupttext sind da, wenn ich es recht übersehe, einige Anspielungen zu finden. Vielleicht ist es aber auch v.a. die Arbeit der “Überschreibungen” (vor allem der letzteren), die solche Verweise nun integriert haben oder vorhalten. Entgegenhalten kann man natürlich: Wer liest schon einen Fussnotentext?

(zu dranmor IX,3-IX,5b (=vorl. Ende); übersicht überschreibungen)

überschreibungen 21a

(schlaufen, rückkopplungen)

materialien zum verständnis von dranmor.

dm IV,1e, Wilde Wehen, beispielsweise

in: Villon, Francois: Balladen. Nachdichtung von Ernst Stimmel.

mit 8 ganzseitigen Illustrationen von A.P. Weber. Hamburg. Hauswedell, (1939). 25 : 17,5 cm. Original-Pappband. 66 Seiten, 2 Blatt. Erste Ausgabe (3. A.) mit den ausdrucksstarken Federzeichnungen von A. Paul Weber. – Schumacher I, 94.

(zu dranmor materialien; übersicht überschreibungen)

überschreibungen 21

(retro)

wird das klar? die rückkehr an den exilierten ort (i.e. das haus mit dem pilz, den es auszuräuchern gilt*), die immer seine zerstörung einleitet. diese konstruktion ist als parallele zu dranmors rückkehr aus brasilien nach bern gedacht. das feststellen der veränderungen. das verstummen. ein techtelmechtel mit einem spatz. (). (soll das der kleine mann im ohr sein, wurde ich gefragt. wer weiss?). besser: eine innere stimme, oder das es des erzählers, das sich bald mit seinesgleichen zusammenrotten wird. (* um beschreibung ringend: der amorphe pilz als brei, der sich ein letztes mal strukturiert. noch gestrichen: die überlegung, ob es sich hierbei letztendlich um eine personifikation (fungifikation) des schreibwillens handelt) …

ihre kündigung schmerzt mich. nicht in doppelter hinsicht. unser körperliches zueinander war mir am ende nicht mehr wichtig. ich weiss, sie sieht das etwas anders. aber: das aufmichalleinegestelltsein macht mir zu schaffen. die unsicherheiten bei der interpretation meines textes. das stelletreten auf den lichtungen meiner eigenen auslegung. meine selbstinterpretation, die aus den fugen gerät. kein anruf. keine antwort. so kurz vor dem ende. es ist schwierig einen punkt zu machen, in ganz physischer hinsicht. ich warte auf ihren anruf. ich befülle weiter geduldig ihren anrufbeantworter anstelle zu schreiben, dessen name höhnt, der nichts beantwortet, sondern die fragen zurückgibt und neue stellt. ich hoffe, auf eine änderung seiner ansage, darum wähle ich weiter ihre nummer. ich erhoffe, wenn auch nicht von ihr, so doch von ihm, einen letzten satz.

CONTAINER: ein Feedback. Nicht eines in Kommentarform und auch nicht zu diesen bearbeiteten Passagen. Von einer Zeitschrift um eine Texteinsendung gebeten, sendete ich die Passage III,1c (Über Berge schreiben) ein, die also in ein paar Wochen mit etwas grösserer Reichweite gelesen wird. (Näheres dann). Entgegen der Vorsätze, überarbeitete Teile nicht zugänglich zu machen, ist diese Passage also ausnahmsweise** zugänglich, was nicht heisst, dass daran nicht noch weitergearbeitet wird … (** das stimmt nur teilweise, d.h. der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass eine frühe Version der Passage IV,1e (Wilde Wehen) schon in der “Klivuskante” gebracht wurde.)

(zu dranmor IX,1a-IX,2b; übersicht überschreibungen)

überschreibungen 20

(therapieren)

wie leicht gehen dagegen diese passagen von der hand, was das lesen angeht. (an ihr geschriebenwerden habe ich keine erinnerung mehr). es ist natürlich die freiheit des denkens über anstalten, wenn man noch nicht in ihnen gelebt hat. hätte ich die waldau besucht, wäre das ergebnis sicher ein ganz anderes. so gibt es also nur ein bild aus auswertungen einiger weniger materialien, die sich auch noch fiktionen nennen. und ein paar homepages. (die natürlich auch nur fiktionen sind: möchte man sich das augenscheinlich machen, muss man sich nur den quellcode anschauen). der fluss der sprache, wie ich denke, hier also (zum ersten, zweiten, dritten mal?) angemessen und das medikamentöse ineinander der zeichen und bilder, der sprünge und ausblendungen. man stelle sich darunter eine fast nüchterne betrachtung vor, unter dem vorzeichen einer gedämpften wahrnehmung, freilich.

der roman, der aufbau, die sprache, subjekte usw. eine einzige anstalt, sagt sie. die flure, gänge, kanäle, das alleinsein darin – ihre architektur. die vermeintliche entwicklung des erzählers, des erzählstrangs – eine nur mutmassliche. fast komme man auf den gedanken, der text sei dort geschrieben worden. ob es das sei, was ich vorhatte: einen anstaltstext à la marat/sade, und: aber: nicht mit ihr. sie sei meine lektorin und war meine geliebte. um mich, um DAS zu therapieren müsse ich mir jemand anderes suchen. sie werde sich nicht mehr bei mir melden. sie will, dass ich mich nicht mehr bei ihr melde. ich müsse das nun alleine zuende bringen. sie geht.

dabei muss noch an der vorgeschichte (dem in doppelter hinsicht gescheiterten exhumierungsversuch des dichters In Frieden I und II = VIII,4a und VIII,4b) gearbeitet werden. die herausstellung, vielleicht auch überzeichnung einer weiteren substitution, der der absetzung der appenzeller und aussetzung (überantwortung) einer wissenschaftlich anerkannten medikation. (). (auch dies natürlich gedacht als vorboten einer weiteren zäsur oder eines konsequenten schrittes in richtung vollständigem wahrnehmungsverlust des erzählers. (nicht verlust, aber vielleicht: verfall und umbau)). CONTAINER: Es gab eine (positive) Reaktion zu einem Teil des Waldauabschnitts, und der Art und Weise, wie hier “Anstalt” aus der Perspektive abgebildet wurde. Ich habe darauf etwas grossflächiger, also den Gesamttext berücksichtigend, geantwortet. Vielleicht würde ich jetzt etwas anders darauf antworten, zitiere aber einen Teil des damaligen Antworttextes trotzdem: hier vielleicht auch ein weiterer kleiner wendepunkt in der novelle. die äusseren umstände, zb der rahmen der arbeitswelt (wie hier), der sozusagen auch den verschobenen erzählerzustand spiegelt. das ganze (dranmor I-x) auch als fahrt eines eigentlich durchschnittlichen ins randständige, pathologisch normalverteilte – das auf einer etwas engen folie mit historischer schleife. eigentlich war der ursprüngliche plan die darstellung einer überidentifizierung mit (jemandem) vergangenem als mangelerscheinungseffekt – ich glaube, es wird mehr und mehr nebensache.. wahrscheinlich muss man den gesamten Überschreibungentext als Antwort darauf verstehen …

(zu dranmor VIII,4a-VIII,6; übersicht überschreibungen)

überschreibungen 19

(transfiguration – substitution)

eine schwierige kapitelhälfte. voller löcher (leerstellen) und pflaster (übercodierungen). dem ich-erzähler ist der stoff ausgegangen. das briefchen ist leer, ein nachschub nicht in sicht, und natürlich muss er sich etwas anderes suchen. angedeutet wird das schon in der verpuppungspassage (VII,4h Transfiguration) des vorangehenden kapitels. das umsteigen auf die fast ungeniessbaren, schweralkoholischen appenzeller bitter geht einher mit einer wahrnehmungsverschiebung und erzählspracheveränderung, einem weiteren abgleiten ins phantastische und nimmt an dieser stelle den schwenk ins am ende märchenhafte/mythologische (eine anspielung darauf passiert schon in VIII,1c Aventiure = der sich als drache gebärdende pilz, der zum dunstkreis Dranmors (als allegorie = der schriftsteller -> die figur -> die vorlage -> der schreibprozess) gehört, dessen funktion aber ebenso nie näher bestimmt wird) von kapitel IV vorweg. das motiv der übergangs ist also auch auf dieser ebene zu finden. (). die immer stärkere selbstbezüglichkeit soll dabei über wiederholte selbstgespräche und einer zunehmenden sprachbegabung unbelebter dinge bzw. den kommunkationsversuchen mit nichtkommunikablen verstärkt werden. (wahrscheinlich weder relevant noch emphatisch). parallel dazu wird die aussenwelt von der innenwelt substituiert, und diese drängt langsam nach einer neuen ordnung: Nur noch eine Viertelstunde, bettele ich. Man müsse sich vorher doch noch stärken. Der Blinde und der Taubstumme sagen doch nicht nein, wenn ich sie einlade, sage ich, und: sie könnten das doch nicht abschlagen. Das können sie nicht, denn: alle für einen, so der Blinde. Und: nichts gegen die Alpenbitter am Morgen. Sie seien nur etwas geschwätzig, wie man mich warnte. Ich solle mich setzen, dorthin auf die Remittenden. Schliesslich müssten sie ihren Lebensunterhalt verdienen, und: müssten nebenher Zeitschriften einräumen.

Überhaupt: So früh sei ich noch nie da gewesen. Ich übergehe diese Bemerkung. Der eine würde meine Antwort nicht verstehen, der andere nicht die Zusammenhänge. Die Tage werden länger, sagt man, sage ich. Dann: Ich versuche die Tage zu verkürzen, um den Schlaf wieder in die Nacht zu justieren. Ob ich schlecht schlafe? Nein, sehr gut, eigentlich. Aber viel zu wenig. Man fände ihn selten. Er findet mich am Tag, manchmal, an den unüblichsten Stellen, dann aber möchte er nachdrücklich genommen werden.
().

und ob ich das wirklich so meine. das kann doch nicht mein ernst sein. nein, DAS könne doch nicht mein ernst sein. nein. wirklich. nein. und doch. doch, sage ich. und doch. es IST ein absurder roman. oder besser: es ist ein ZU TEILEN absurder roman, das habe ich immer gesagt. und sicher kann man zu diesem ergebnis kommen und es verpönen oder die nase rümpfen, wenn man nur den plot und die sich andauernd verändernden sprachlichen mittel für sich bewertet. aber von seiner struktur her ist er WAHR und damit müsse sie leben. vor allem, wenn sie mit mir leben wolle. und sie will mit mir leben, aber ohne diesen roman. und sie weint und ich lache und weine. und wir lachen bis wir wieder weinen. so kann es nicht mehr weiter gehen.

CONTAINER: keine Kommentare hierzu. Verständlich, auch ich war zunächst sprachlos, als sich mir diese unerwartete Entwicklung diktierte. Bin es immer noch, nein, ich finde langsam die Worte.

(zu dranmor VIII,1a-VIII,3; übersicht überschreibungen)