Zur Digitalen Edition der Schriftproben

Verdienstvollerweise wurde letztes Jahr, 2011 von Wolfgang Reuss und anderen eine Neuedition der „Schriftproben von Peter Hammer“ als Faksimile (1) besorgt. Einem Text, der in der Originalausgabe von 1808 zu den wohl „grössten antiquarischen Raritäten und ästhetisch seltsamsten Produkten der Heidelberger Romantik“ gehört (2). Verdienstvoll, weil der Text selbst in seinen Nachdrucken und spezielleren Editionen (3) ebenfalls nur noch in Bibliotheken und Antiquariaten zu finden ist, und diese dem Reusschen Beweggrund einer maximalähnlichen Reproduktion des Originals von 1808 nachstanden. Verdienstvoll auch, weil dem Text, neben Reflexionen über den historisch-kritischen Wert und die Auratizität solch eines Unterfangens, ein Stellenkommentar, Rezeptionsdokumente und eine Vollständigkeit beanspruchende Bibliographie zur Seite gestellt wurde.

Was verwunderte (oder eben nicht), war aber die Unterlassung einer Transkription und Verfügbarmachung des Textes, die eine Rezeption auf der Höhe der Zeit erleichterte, ja, die in diesem Sinne literaturvermittelnd wirken und eine spezifische Textabsicht jenseits des Typoästhetischen befördern könnte.

Reuss argumentiert zu Recht, dass Goerres Text einmalig im Zusammenspiel von Form und Inhalt ist. Eine reine Faksimile-Ausgabe bleibt allerdings wiederum hinter den Möglichkeiten einer hybriden Edition, die zu gewissen Teilen auch eine Les-, Edier-, Kommunizier- und Performierbar einschliesst, zurück. Für einen – zu Recht – als zentral angesehenen Text ist das schade.

Das schiere Bestaunen des Originals mit dem Ähnlichen und Ähnlichgemachten, des 1:1 gescannten, unbeschnittenen, kaumberührten Relikts, historisiert diesen Text, befördert diesen aber nicht. Es wäre wohl auch nicht der Weisheit und Wissenschaft letzter Schluss. Eine Züchtung eines Papiers aus dem Originalpapier, eine DNA-klonerische Arbeit an der nun stofflichen Simulation des Mediums wäre wohl der nächste Schritt der Rekonstruktion solch eines Fetischs. Und würde wiederum die Reussche Edition historisieren.

Dieses Stück „concrete art“ (4) verschiebt sich bei alleiniger Betrachtung der materialen Oberflächenstruktur ins Nurgegenständliche, die andere, weitere Formen textueller Schönheit mit Macht verdeckt.

Eine hybride Edition, die komplementär sowohl faksimiliarischen Aspekten gerecht wird, aber auch zeitgleich in einer behutsamen Transkription den Text neben sein Textbild stellt und beides zum Leben erweckt und ihn auch für die Zunge und Maschinen lesbar macht, ersehen wir als notwendig.

Der Text funktioniert auch und vor allem über die Sprache, über Klangliches, „Klanggeräusche“ (5), deren Sog sich erst entwickeln kann, wenn der Text wieder verflüssigt wird, sodass das Auge, ohne darüber zu stolpern, mit ihm tanzen kann.

Ein Texterkennung eines Digitalisats des Textes ist für jetzige Maschinen aus naheliegenden Gründen noch nicht möglich. Dies schliesst ungerechtfertigterweise grösste Teile textverarbeitender Systeme aus. Texte möchten mit Texten kommunizieren. Sie bestehen aus nichts anderem als dem Wunsch nach dieser Kommunikation. Auch eine zusätzliche Printtranskription entlässt die „Schriftproben“ nicht in eine virtuell-digitale Textgemeinschaft von Rang. Nur eingesperrt in ein hölzernes Gefäss, stehen sie unter Hausarrest und können ihre sprachliche Qualität den anderen nur eingeschränkt mitteilen. Eine digitale Volltextedition in freien Web- und E-Bookformaten hilft diesen auch, sich nicht nur im Frack zu geben, sondern auch im Jogginganzug zu fläzen.

Ein Angebot dieser Art öffnet den Text ausserdem für die Möglichkeiten textlinuistischer, statistischer und anderer interdisziplinärer Untersuchungsverfahren. Eine zeitgemässe, nicht nur historisch-kritische, sondern auch modern-vermittelnde Ausgabe sorgt damit nicht nur für eine Archivierung, sondern auch – im besten Sinne des Wortes – musealisierende Verlebendigung seines prophetischen Gehalts. Der Text wird überprüfbarer.

Bern, 2012

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1 Schriftproben von Peter Hammer (Joseph Görres). Faksimile des Erstdrucks von 1808, herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Roland Reuss und Caroline Socha. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2011

2 Martin, Dieter: Typographische Polemik. zu Joseph Görres’ “Schriftproben von Peter Hammer”. In: Heidelberger Jahrbücher, Bd. 51.2007 (2008), S. 415-439 (S.415).

3 Vgl. Reuss, S. 66

4 Stopp, Elisabeth: ‘Ein literarisches Mondkalb’: Görres’ ‘tollgewordener Epilogus’ to his Schriftproben von Peter Hammer. In: German Life and Letters. Volume 34, Issue 1, pages 108–116, October 1980. S. 110

5 Görres, Joseph. – Schriftproben : 1808 / von Peter Hammer. – Mannheim : Bibliophilen-Ges., 1931 (Auch enthalten in: Frägers komische Bibliothek, 1992, S.229)