wasser fliesst ab. der pegel fällt langsam. an ehemals überfluteten stellen trennt sich tatsächliches von imaginärem. wasserleichen starren ans ufer, dort die fahlgesichtigen frauen und übermüdete männer.
das gras wird, scheint einmal wieder die sonne, von den weidenden tieren verschmäht werden. kein grashalm wird angerührt werden. ein fremder film hat sich über seine haut gelegt und macht ihn ungeniessbar.
strom fliesst wieder durch die kabel der kleinen ortschaften rings um den see: wann die strassen wieder befahren werden können? die behörden machen darüber keine konkreten aussagen. immerhin, das radio spielt einen hit der achziger jahre.
Kategorie: kleine prosa
talschlüsse 3
vor der längst abgesperrten stadt, kurz vor der brücke, die, niemand hatte mit so einer überschwemmung gerechnet, in ihrer ungeschickten architektur den wasserstrom ins zentrum der stadt und nicht an ihr vorbei lenkte, hat ein cleverer metzger einen stand mit bier, kaffee und würstchen für die schaulustigen aufgebaut.
die würste sind fein, das bier könnte etwas kälter sein.
talschlüsse 2
leben wie zu gotthelfs zeiten oder ähnlich, hiess die fernsehserie, die vor geraumer zeit ausgestrahlt wurde. man fühlt sich erinnert, ohne sie jemals gesehen zu haben. dies ist der zweite tag des talschlusses. der seepegel ist weiter gestiegen. seit fünfzehn stunden ohne strom und telefon. gottseidank gäbe es handys, möchte man sagen, aber deren akkus werden bald erschöpft sein. man stelle sich das nicht romantisch vor: die behörden hatten vor einem tag geraten, vor genuss des leitungswassers dieses abzukochen. naturgemäss problematisch, ohne strom. das wasser für die milchflasche des kindes muss über feuer abgekocht werden. zeit bekommt eine neue dimension. das kind schreit. zu recht.
treibholz zieht in langen schlieren über den braunen see. die wenigen leute, die man trifft, sind freundlicher als sonst, grüssen. das tal ist ruhig.
ein vogelschwarm feiert ein fest auf einem birnbaum, der weiss, wie es weitergeht. birnbäume sind optimisten.
der letzte bäcker, der auch kiosk ist, schliesst. wir können gerade noch ein halbdurchgebackenes brot bekommen, und etwas mineralwasser.
der hang, den wir hinunterschauen: enten sammeln sich an seinem fuss, erkunden neuland. die obstbäume beruhigen etwas. aber die zigaretten werden knapp. es befinden sich noch acht in der packung. eine weitere halbe im aschenbecher auf dem balkon. leichter fallwind kräuselt die oberfläche des sees.
talschlüsse 1
wir wollen nicht dramatisieren. zwei feuerwehrleute sind gestorben. nachhaltiger regen, die letzten tage. für heute ist dauerregen angekündigt. man liegt halbsicher im bett, geht dann wieder hinaus auf die terrasse mit dem fernglas und sieht die erodierte erde, die von den hängen abgegangene auf der gegenüberliegenden seite des sarnersees. heute nacht die sirenen. das kind schrie kurz auf, beruhigte sich bald und schlief wieder ein. die familie scharte sich um das radio, etwas anderes gibt es nicht, und empfing die warnungen. bleiben sie zuhause. benutzen sie den notruf nur in notfällen. zwei feuerwehrleute in entlebuch gestorben. man ging noch einmal ins bett. wacht nach ein paar stunden wieder auf. unruhig. beobachtet den nachbarn, einen bauladenbesitzer, der seine gerätschaften einer hilfstruppe zur verfügung stellt. aktivität. auch ein ungewohnt hohes verkehrsaufkommen vor dem haus. der blick auf den berg hinter unserem haus. da sei noch nie etwas heruntergekommen. die nächsten radioberichte. die meisten strassen unterbrochen. unbefahrbar. jemand macht frühstück. kaffee ist noch da. und milch. und brot.
gerade lese ich olga flors talschluss. eine familie, die in einem tal von der aussenwelt abgeschnitten wird. ein klammes soziotop, das sich allmählich wiederherstellt. eine geschichte rast auf ein unheil zu.
aber wir sitzen noch im trockenen. holz ist auch noch da. zwei feuerwehrmänner werden tot in entlebuch geborgen. wir wollen nicht dramatisieren.
Paare am Morgen XVIII
Ehe sie sich versah, war sie allein. Und dieser Zustand schon eine ganze lange Nachte. Noch bevor sich Augen öffneten und nachdem die Kontrolle an Dritte abgegeben wurde, die Frage, ob sich etwas änderte, wären sie zu zweit.
Ehe er antwortete. Noch bevor eine präzise Antwort zur Verfügung stand eine, die alle möglichen Konsequenzen einschloss, deckte und annehmen konnte; nachdem eine Wahl getroffen wurde, ohne ihn, mit ihm, wurde es Tag.