Alphabet des anarchistischen Amateurs

Bleibt hier noch festzuhalten, dass obiger Titel von Herbert Müller-Guttenbrunn (neu ediert bei Matthes & Seitz, Berlin 2007; ursprünglich und in anderer Form im „Nebelhorn“, 1931/32) eine kaum zu übersehende, strukturelle Ähnlichkeiten mit der EuD aufweist, wie ich jetzt erst feststelle. Sowohl die Verwendung zeitgenössischer Äusserungen und Zitate, als auch die Durchsetzung dieses – ebenso als Quasi-Enzyklopädie angelegten – Texts mit kleinen Reflexionen, Störungen, Aphorismen und Verweisen sind dort ähnlich umgesetzt. Auch, was das Kreisen um ein vage vorgegebenes Sinnzentrum angeht. Zur Qualität der (hier aber überwiegend eigenen) Einträge: bei Müller-Guttenbrunn gehen sie dann doch oft ins Halbkomische. Bsp. zweier sehr kurzer Einträge:

Dadaismus / Eine literarische Richtung, deren Jünger wenigstens zugeben, daß sie lallen.

bzw.

Expressionismus / Behauptet, etwas auszudrücken. Aber niemand weiß, was.

Diese Art Humor ist denn wohl auch sehr der Zeit geschuldet. Ale Ergänzung hier noch etwas Verlags- bzw. Klappentext

Bürgerseele, Cunnilingus, Defloration, Dollar, Fernsehen, Frauenemanzipation, Geburtenrückgang, Geld, Todesstrafe, Vorhaut Christi: Keine Peinlichkeit und keine Scheinheiligkeit bleibt unentdeckt vom wachen und gnadenlosen Blick Herbert Müller-Guttenbrunns, der sich in diesem vergnüglichen Alphabet schonungslos über verschiedenste unserer Alltäglichkeiten hermacht. Und Herbert Müller-Guttenbrunn ist nicht irgendwer: als gefürchteter Satiriker und Pamphletist führte er eine Zeitschrift ähnlich wie Karl Kraus fast in Alleinregie: Das Nebelhorn. Darin übertraf er jenen sogar an Schärfe der Beobachtung und des Ausdrucks. Kaum einen Sachverhalt, den er nicht unter die Lupe der Satire (die auch mal grobianische Polemik sein kann) legt. Ziel seiner aphoristischen Klinge ist der »Mord«, nämlich der »Mord am Schwachsinn, d.i. an der – mit ihm leider schon identischen – Autorität.« (…)

bei dem mich vor allem diese Passage stutzig macht

Herbert Müller-Guttenbrunn, anarchistisch, querulantisch und absolut individualistisch, wurde 1887 in Wien als Sohn des mit antisemitisch-deutschnationalem Geruch behafteten Banater Erfolgsschriftstellers Adam Müller-Guttenbrunn geboren. Zwischen 1927 und 1934 erschien seine Karl Kraus gewidmete Zeitschrift »Das Nebelhorn«. 1945 wurde er irrtümlich erschossen.

Kleine Zettelkunde V (EuD)

(Wie Nachschlagen?)

Hin und her überlegt, was – nach der GestaltundGenesePassage – dem Text noch mitzugeben ist. Es handelt sich ja hierbei nicht (wie üblich) um eine Enzyklopädie des Suchens, sondern eine des Findens, und dieses “Aufs Finden gehen” braucht einen Impuls. (Vielleicht handelt es sich aber auch nur um ein gefühltes Nutzerbedürfnis). Genau das liesse sich wieder paraphrasieren und theoretisieren und vornanstellen. Ich fand aber, dass so eine Passage den Haupttext etwas belästigen würde. Ein Verschweigen und Übergehen dieses Gedankens schien mir aber auch nicht glücklich. Was mir nun weitaus geschickter scheint, ist das Herausgreifen eines Zitates, eines “Eintrags” also, der gleichsam einleitet, buchstäblich einführt („→“), und selbst in seiner Art und Weise die Poetik des Textes vertritt, also bspw. dieser:

Du brauchst nur kreuz und quer durch mein Lexikon zu lesen, so wie Du Dich ja auch an Deinen Feldwebel, die erste Flaschenmilch und Dein zukünftiges Zimmer im Altersheim durcheinander erinnern kannst. Das ist die Welt. In der vorgeschriebenen Reihenfolge vorgeschriebene Blicke zu werfen, ist hingegen klassische Lektüre oder vortauwetterlicher Ost-Tourismus. Ich will Dich – versuchen wir es einmal – aus der Lektüre in die Welt befreien.

Quelle: Andreas Okopenko, Lexikon Roman – eine sentimentale Reise zum Exporteurtreffen in Druden, 1970

→ Enzyklopädie

Kleine Zettelkunde IV (EuD)

dann, vielleicht an der stelle eines vorworts

Gestalt und Genese

Die hier als Nachschlagewerk präsentierte Enzyklopädie der ungeraden Dinge (EuD) war zunächst ein kleines Weblog mit Fundstücken und eigenen Texten, die sich grob und bisweilen auch sehr assoziativ einer vorgegebenen, wenn auch unpräzisen Definition ergaben.

Wahrheit und Schärfe waren hierbei kein Sammelkriterium, eher ging es vielleicht um eine noch zu formulierende Poetik des Herausgebers und Autors, ganz sicher aber um eine Poetik des Findens, Sammelns, Aufbereitens und Nachschlagens.

Die im Weblog vorhandenen Möglichkeiten der Generierung von Links, Verweisen und Zusammenhängen sind natürlich in dieser analogen Umgebung so nicht gegeben. Das Konvolut der Einträge, der oft auch ins Leere schiessenden Verweise und Quellen bemüht sich aber dennoch um eine eigene Qualität.

Kleine Zettelkunde III (EuD)

(Auf dem Rücken)

Ein Klappen- oder Backcovertext sollte ja nicht zu viel, aber auch nicht nichts sagen. Nach langem hin und her einige ich mich auf diese kleine, kryptische Form. Vorerst.

In über 300 Einträgen und zahlreichen

Verweisen kommt das Ungerade zur Sprache.

Etwas, das nicht problemlos durch zwei teilbar ist.

Etwas, das nicht im Moment passiert.

Etwas, das nicht im engsten Sinne rund ist.

Man erhält den Eindruck, es handle sich um

die Sprache selbst.

p.s.: heute morgen kurz von der schönheit des wortes “vorerst” gestreift … meint eine unbestimmte gegenwart, zeigt aber auch mit krummem finger auf geschichte. so etwa.

Kleine Zettelkunde II (EuD)

(Strukturieren, formatieren)

Ich hoffe, keine umgehende Reflexion zu diesem Thema versprochen zu haben, muss ich mich doch zunächst um ein paar grundsätzliche Fragen der Manuskriptgestaltung kümmern, die ich hier etwas trocken liste.

  • Flattersatz (ja/nein)?
  • Absatz (pt.), Haupttext, Eintragstext, Gesamttext
  • Farbigkeiten (die Kommentare heller?)
  • Bilder freistehend oder vom Text umflossen?
  • Zu schreiben: Text zu Gestalt und Genese
  • Provisorisches Buchcover (front/back)
  • Struktur der Quellenzitation
  • Kleine Vereinheitlichungen („>“-Verweise)
  • Zu überlegen: Hinweis zum Verständnis der Kommentare. Zu der (in der analogen Form natürlich) eingeschränkten Benutzbarkeit. (Selbstverständlich generiert eine Datenbankabfrage über einen Volltext eine grösserer Trefferliste. “Offline” läuft der Link öfter ins Leere, verläuft sich also im Benutzer.)
  • Hinweis auf die assoziative Auslegung der Definition ums “Ungerade” (nicht immer rekonstruierbar, s.o.)
  • Als Hinweis zur Benutzung empfiehlt sich etwa der Eintrag unter dem Lexem “Goldschminke”
  • Weiter zu überlegen: eine Erstellung einer Liste zitierter Autorschaften
  • Hinweis?: etwa: “In den nicht kursiv gesetzten Passagen im Haupttext tritt der Herausgeber als Autor auf.” (= weitere fiktionale Durchsetzung der als faktisch gemeinten Belege)
  • tbc.

Alles in allem sollen die Texte “behutsam” in das Manuskript fliessen und inhaltliche (auch orthographische) Korrekturen nur dort geschehen, wo nötig.