Das Minimum kann vermindert werden.

Gott, der Fremde.

Theologen, seine Schreibtischethnographen.

Mystiker, die teilnehmenden Beobachter.

Esoterik. Ersatzexotik fürs globale Dorf. Abenteuerreisen fürs provinzielle, seßhafte Denken.

Mit dem Okkulten tritt man heute über Servicecenter in Verbindung.

Aus meiner Erinnerung und Vorstellung wachsen immer eigene Augen, für den Zustand der Dinge ungenaue Augen, unfähig zur Wahrnehmung der bloßen Gegebenheit. So verfließen, verschwimmen mir die Dinge, Orte und Personen oft in der Zeit. Oder, andersherum, die zahlreichen Schichten der Erinnerung und Einbildung drängen plötzlich zu gerinnen zu einem einzigen Bild, dem das Gegebene nicht genügt.

Zeitgenössische Mathematik des Existenzminimums: Das Minimum kann vermindert werden.

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Ich fliege umher und fresse den Raum!

Nun wünschte sie, daß der Apfel von der Erde in die Zweige fällt. – Hinein in ihren Himmel! Dort sah sie ihn – prächtig blühte der Verfaulte!

Keiner ihrer Blicke aber streifte den Boden, wie dort durch ihn, ein erstes, anderes Grünes wieder aus der Erde trieb.

Der ewige, erstarrte Himmel war ihr das alles überlagernde Bild – das natürliche, rettende aber, das unmögliche.

Das Wetterhafte des Lebens. Die Vorhersagen der Toten.

Verliebte reisen gerne zu den Sternen! – Ah! Ihr monotones Fieber! Dies kalte Glühen ihrer Sprache! – Doch die Verliebten sprechen sie kaum. Sie machen dort meist nur zwei, drei Wochen Urlaub.

Viel Bewegung und gute Ernährung. – Aber ja! Ich fliege umher und fresse den Raum! Und mit ein wenig Glück und großem Appetit, lande ich in einer verwitweten, einsamen Zeit.

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Nun berechnete er das Pi der Liebe.

Wir ignorieren immerzu die Welt wie sie noch nicht ist. – Wir siechen dahin in Gewohnheiten. Ob in unserem Modell der Realität oder der Realität unseres Modells ist hierfür gleich erbärmlich.

Kurzfilm. – Zwei Gänse. Er jagt sie. Über die Minigolfanlage. Großes Tohuwabohu. Harmloses Gelächter der Besucher. Dann ihr entsetztes Starren auf das happy end: der martialischen Paarung auf Bahn Nummer 18.

Nachts, in einer Tiefgarage. Zwei verliebte Teenager, eng umschlungen auf der Motorhaube meines Wagens. Ich grüße sie, „Guten Abend“, und öffne die Tür. Sie schrecken auf, reiben sich die Augen im grellen Neonlicht. Und starren mich an, durch die Windschutzscheibe, als sei soeben ein Irrer in ihr Schlafzimmer eingestiegen.

Nun berechnete er das Pi der Liebe. – Auch ein Wille zur Genauigkeit vermag zu träumen. Und kennt nicht nur Vergeblichkeit. Hinter der letzten Stelle, auf dem Sterbebett – dort sah er sich, flüsternd, zitternd zählen: „… neun, fünf, acht, sieben, drei …“ – stünde vor ihm plötzlich wieder das Komma.

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Das Zittertierchen unterm Mikroskop.

Der kollektive Zwang zum Individualismus. Und die eine große Mode, die so viele teilen: dieses ichlose Authentizitätsgefasel.

Die kostbaren Augenblicke, in denen ich vergesse, selbst bessere Sätze zu notieren. Mit Leichtigkeit vergesse, ohne Stolz, ohne Reue, ohne jeglichen Widerstand. – Die Worte, sie kommen und gehen, und sind verschwunden. Das ist alles.

“Journey to the center of my heart”.– Abfahrt. Endstation. Im Allerinnersten. Immer gleich, ewig glühend. Dort dann, in Asbest, eine Art Steuerungs- und Kontrollinstanz für die Umwälzung von ein paar Gewohnheiten zur Gewißheit.

Genaue, scharfe Betrachtung einer Figur: das Zittertierchen unterm Mikroskop.

Der Irrglaube des Lesers, in der Erinnerung lägen verborgen die Geschichten. Jede Verkettung, Verschiebung, Verfärbung noch so unbedeutender Ereignisse erstrahle

jeden Moment als Stoff.

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Die Angst ist oft das Konsulat des Schönen …

Die Räume des Tagtraums erscheinen uns paradox: brüchig, und erfüllt, und überquellend. Die der Alltagswahrnehmung nie: kontinuierlich, ohne Risse, lückenlos leer.

Die Angst ist oft das Konsulat des Schönen, seine ständig schreckliche Vertretung in der Welt.

Erfolg: Oft wünschte, flehte ich, nur die Toten mögen mich nicht vergessen.

Zeugenberichte vom Exodus. – Woher es kam, wann es begann, konnten sie mir nicht sagen. Doch viele Exemplare befiel damals ein Unbehagen, zu ihrer eigenen Gattung, zur Menschheit zu gehören.

Sie fürchteten sich vor ihren Phantasien statt vor ihren Gewohnheiten.

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