Kurzfilm.

Eine Pistolenkugel wird abgefeuert. Im selben Moment erinnert der Anvisierte einen Kindheitstag am Meer. Die Kugel ist unterwegs, die Gleichzeitigkeit dauert.

Er verliert sich in seinen Bildern (eine Lache geschmolzenen Schokoladeneises zwischen Brandungsgeröll, seine Füße vor ihm, vergraben im Sand, ein lesendes Mädchen mit Gänsehaut, dort drüben auf einem gelben Badetuch, die Silhouetten zweier Tanker am Horizont). – Nicht die berühmten letzten, blitzartigen Bilder vor dem Tod, nicht die kurz aufleuchtenden, vergangenen Augenblicke. Das Geschoß geht in der ihm fremden Zeit spazieren, beginnt in ihr zu wandern. Die Erinnerung aber dehnt sich immer weiter, gewinnt ihre uns fremde, endlos wachsende Genauigkeit. Die Kugel verirrt sich in ihr – verliert an Geschwindigkeit, erstarrt.

Und fällt – ein kurzes, dumpfes Geräusch – ins nun nicht mehr leere Eimerchen des Jungen. – Ende.

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Und oft vergess‘ ich sie zu füttern.

Erinnerung der Ekstase. – Als fände auch jene nicht allein im Gehirn, sondern zerstreut im ganzen Körper statt. Als säße, niste sie dort überall.

Sie lebt nun schon seit Wochen im Hoffmannschen Aquarium. Nicht der verlorenen – der gescheiterten Ideen. Und oft vergess‘ ich sie zu füttern.

Wenn ich dann aber vor ihr stehe, ihr zusehe, wie sie dort schwebt und schwimmt, sich durch die aufsteigenden Luftbläschen laviert, spiegelt sich in meinen Augen, auf der anderen Seite der gläsernen Wand, dies träge, monotone Flimmern. – Ja, meine Tiefseeäugige! Mein knochiges, schönes, nasses Tier! Es wird Zeit, heute werfe ich dich zurück ins Meer…

Nervöses Schreiben am Morgen. Aus dem Unrecht gegenüber dem Schlaf. – Nicht die müden Augen, die Augen aus dem Traum, Augen in der Nacht gewachsen, Augen voller Erinnerung dorthin.

p34

Es ist wie …

Im Anfang immer Verrat. – Der schrille gelbe Schrei in mir, wenn jemand ein Unbekanntes, Fremdes beschreibt und anhebt: „Es ist wie …“

Die geschlossenen Augen der Tanzenden. – Welche in ein Abwesendes geflohen scheinen, das nun ihren zurückgebliebenen, verlassenen Körper bewegt. Verzückt zeugt einzig dieser, – nah, gegenwärtig und verschwitzt, von jenem Weiten, Fernen – von Erinnerung, von einem Begehren, an seinem Platz von Utopie.

Ich erahne kein einziges Wort der Fragen, deren Beantwortung die Welt erklären könnte. – Doch ich will verdammt sein, wenn auch nur eine mit warum beginnt.

Ein Tropfen quillt am Nachmittag durchs feine Sieb des Wasserhahns. Aus dem Dunkel ins Licht. Er zögert, er zittert. Er wartet auf sich selbst. Sichtbar auf unsichtbar. Es formt ihn noch die eine Kraft, die ihn gleich fallen und im Abflußrohr verschwinden läßt.

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Wir sehen nicht, wir schließen.

Ich bin oft höflicher als eine Japanerin in der Tokioter U-Bahn.

Über der Stadt, schon seit Tagen, segeln, schießen schwarze Schatten.

Wir sagen „Seht nur! Dort, die Schwalben!“, und sehen nur dunkle, bewegte Konturen. Wir sagen „Schwalben“ und sehen nicht. Wir sehen nicht, wir schließen.

Wir verloren die Anschauung, und bald verlieren wir die Erinnerung. Wir stellen nicht mehr vor, wir erkennen nur mehr Zeichen. Gleich Buchstaben, deren Formen wir nur insoweit unterscheiden, bis ihnen eine Bedeutung entspringt. Dann haben die schwarzen Gestelle ihre Schuldigkeit getan. Das Auge sucht und findet einen Sinn, und läßt sie zurück.

Das Schimmern eines Katzenfells, das Glitzern bewegter Wasseroberflächen, das Schäumen der Blätter im Wind. – Wie ein Kind verfolge ich das Licht, wie ein Idiot den Zaubertrick. – Und beide befällt dann jedes Mal die Ahnung, wie Genauigkeiten zu schillern hätten, nahe dem Unsagbaren.

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Dort! Ein kurzes Glitzern!

Eine Heiterkeit vom Tode her.

Das Wesen der Dinge, ihr destilliertes Nichts.

Erinnerung der Kindheit. – Gern sehen wir zurück, in die Ferne, wie wir dort hinten in der Welt aufgeregt zu schwimmen beginnen … – Dort! Da vorne! – hin und her wie Kaulquappen, dicht unter der warmen Oberfläche eines Tümpels. Wir sehen uns zu und genießen das Kitzeln der Sonnenstrahlen auf unserem Rücken.

Doch taucht nun plötzlich eine Männerhand hinein ins trübe, warme Wasser, fängt sich so ein Tierchen und spürt sein Zappeln.

Zwei weiße Spuren am wolkenlosen Himmel, ein doppelter Schweif züngelnd ins Ätherische. Das Flugzeug zieht unsichtbar davon. – Dort! Ein kurzes Glitzern! Ein Spiegelchen zwischen unseren Augen und der Sonne! Das Flugzeug blinzelte, zwinkerte uns zu, mitten aus seiner Bedeutung.

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