Exil. – Hier lebe ich nun ein miniaturhaftes Leben, in das die große, anonyme Hand des Bastlers, mal hier, mal dort, ein paar frisch bemalte Figuren stellt und wieder verschwinden läßt. Und kaum hatte er am Samstag Nachmittag den Schalter seines Transformators im Hauptbahnhof von Bad A. wieder auf Null gestellt, kaum war ich angekommen in seiner liebevoll arrangierten, detailgetreuen kleinen Stadt (und wir wissen, wie geradezu detailbesessen so ein Bastler werden kann), schon war mir wieder, als spürte ich unter meinen Füßen, unter dünnem Filz oder bemaltem Pappmaché, die groben Fasern der Sperrholzplatte. Denn der Grund seiner Welt – dies wußte ich längst, trotz all seiner sorgfältigen, verschwenderischen Mühe – ist überall rauh und billig.
Kategorie: rainer hoffmann: abduktionen, aberrationen I
Auch die klügsten Konventionen bleiben Gemeinheiten.
Andacht im Kaffeehaus. – Vor den wunderlichen Gebärden der alten Damen in den Hinterzimmern an den Bridgetischen, vor ihrer exotischen Höflichkeit, vor ihrer atavistischen Etikette (welcher nur der Herr Franz, der Oberkellner im Frack, noch zu genügen weiß). Dieses fremde Hermetische, dieser ruhige, behäbige, museale Fluß der Gesten und Sätze wird nur für den Beobachter aus einer anderen Zeit gestört, kurz, blitzartig durchbrochen, von seltsamen senilen Tics, die zu ignorieren, ihnen aber selbst mühelos gelingt.
Auch die klügsten Konventionen bleiben Gemeinheiten.
Treue. – Das Versprechen, ihm und mir von Zeit zu Zeit ein paar Gewohnheiten zu stehlen, damit wir uns auch verkennen. Die Pflicht zum Diebstahl unter Freunden.
Gott ist eine perfide perfekte Idee der Zeit.
A und O. – Gott ist eine perfide perfekte Idee der Zeit: eine ewig erste Erkenntnisblockade.
Der Beobachter drängt immer, selbst in die Unendlichkeit gestellt, hinaus.
Wir sind die Schlüsselkinder der Träume. – “Geht!”, flüstern sie, wenn wir erwachen. “Geht, laßt uns allein! Seid artig, spielt ein wenig in Zeit und Raum, tobt, werdet müde. Wir sehn uns wieder, heute Nacht, versprochen!”
Der schreckliche, unheilbare Glaube an die eine Gesundheit.
Dem simplen Trick des Spiegels erliegen wir, der Zauber des Echos wird uns gewahr. Das Geheimnis bleibt immer die Zeit.
Realitätsprinzip und Kunstgenuß eines mir bekannten Psychiaters. – Doch am Abend, in der Oper, läßt sich der Herr Doktor von den Irren zu Tränen rührn.
Jede Wissenschaft will wohnen.
Spieglein, Spieglein an der Wand … Sei still, du lehrst uns niemals sehen.
Theoretische Unmöglichkeit der Wahrnehmung des Gleichzeitigen: aufgrund der Geschwindigkeit des Lichts, des Schalls, der Impulse, die durch unsere Nervenfasern jagen. Die Dinge erreichen uns immer schon als vergangene. Für den geteilten, gemeinsamen Augenblick müßten wir Augen und Ohren, müßten wir uns vor ihnen verschließen.
Der Augenblick wird meist als Zeitpunkt verfehlt.
Jede Wissenschaft will wohnen. Die Hypothese errichtet provisorische Wände in der Welt flatternde Zelte, windige Baracken und beginnt in ihnen gierig zu träumen. Von der uneinnehmbaren Burg, von ihrer letzten Behausung gegen die Welt.
Ich muß immer lächeln, wenn ich Züge verpasse. Seht ihr mich? Hört aber auch das Gelächter der verspäteten Züge, wenn sie mich dann erreichen.
Vorliebe für frühes, frierendes Schreiben.
Das Denken strebe nach Wahrheit. Doch das Ziel seiner Bewegungen solle auch sein Anker sein.
Glück: kein Wille mehr, der sich regt.
Autobiographen? Ach Kalligraphen meist, mit bunten, stumpfen Wachsmalstiften.
Vorliebe für frühes, frierendes Schreiben. Für das Zittern der Träume im Erwachen.
Schaukel. Ort der Bewegung.
Seltene Menschen. Sie trösten sich mit Unvertrautem.
“Im Grunde”. Die Phrase der Angst vor dem freien Fall.