25. Schachtel (Ein merkwürdiger Ort)

Oder das Magazin: eine grosse, idealtypische Truhe mit feinzeiligem Innenleben. Im Innenleben: Der Magaziner als Truhenverwalter. Verweser. Verrücker und Schliesser. Ein Wünschelrutengänger im Aderwerk aus Papier und Metall. Ein Schlüsselfaktor. Ein Ordner der Ordner. Logistiker schlechthin, wenn er ein konventioneller ist.

oder sein gegenspieler? einen unkonventionellen habe ich einmal phantasiert, auch wenn er nicht so getitelt wurde. einen wahren archivpoeten. umschreiber. hineinschreiber ins fleisch der geschichte. hat er etwas falsch gemacht? nicht viel mehr, als diejenigen, die den dingen einen ort, die dem dokument eine signatur verpassten. freispruch für ihn, in meinen augen.

24. Schachtel (Kühnheit)

Die Orte in meinem Roman. Die Wohnung. Der Keller, das Dach, die Räume dazwischen. Der Arbeitsplatz. Das Kulturbüro, die Kneipen und ein Hotel. Selbst die Zugtoilette: Varianten. Ableitungen der Prototypen. Schachteln, Kartons, Truhen mit noch mehr Schachteln, Kartons, Truhen … Nur wenige werden geöffnet. Die meisten bleiben geschlossen.

nimm das ganze haus, das sie lagert. beschreibe die verbindungen, wenn sie nicht inhärent sind. wenn es trittwege gibt. nachbarschaften. fenster und lucken. transformiere diese verbindungen. gestalte bilder. metaphere. die treppe als klavier. der gang zwischen wohnzimmer und küche: schlucht. feuerspeiende drachen. man ist da sehr frei.

23. Schachtel (Zu wissen glauben)

Als Kinder hatten wir eine grosse Wolldecke über den Tisch geworfen, sodass an allen Seiten die Decke bündig auf den Boden fiel. Wir kletterten darunter, krochen in unsere Höhle und waren verschwunden. Die Eltern mimten die Ahnungslosen und suchten, so taten sie, lange Zeit jeden einzelnen Winkel der Dreizimmerwohnung ab.

Wir wollten für immer unter dem Tisch bleiben. Wir hatten nicht einmal vage Vorstellung, was für immer bedeutete. Wir zitterten aber, wenn sich die Decke durch unsere Ungeschicklichkeiten bewegte. Im Jahr darauf zogen wir um. In diesem Winter verschanzten wir uns in Umzugskartons.

fast biographisch. fast gemeingut. nicht erzählenswert und man erzählt es doch, auf die eine oder andere weise. vielleicht auch das basteln eines kaufladens oder einer poststelle aus diesem material. daran klebt immer noch kinderblut. von aufgerissenen fingern und handinnenflächen auf scharfen kartonkanten. dunkelrot.

22. Schachtel (Abweichungen)

Wenn es doch möglich ist darüber zu schreiben, warum man schreibt, muss es doch möglich sein zu schreiben, warum man über Schachteln schreibt. Wo viele behaupten erst zu schreiben, warum man schreibt, sei schreiben. Eigentliches Schreiben. Erst wenn das plausibel erklärt werden konnte, und was am eigenen Schreiben das Spezifische sei. Glaube ich, schreibe ich über diese Gefässe. Warum? Vielleicht um sie zu füllen?

ich. opfer einer phobie. der angst vor leeren gefässen. nun müsste man ernst-wilhelm händlers die frau des schriftstellers zur hand haben. darin: eine seitenlange liste mit angstterminologien und ihrer beschreibungen. ich könnte mich darin wiederfinden. ich habe das buch verliehen. ich habe vergessen an wen. ich schreibe weiter.

21. Schachtel (7-6-7)

Zünde ich mir eine Zigarette an. Die Zigarettenschachtel – die erste Schachtel am Morgen, ich meine: meine erste bewusste Schachtelbegegnung, ein Zuhandensein, Raumbild zukünftiger Lungenzüge und künftiger Asche. Jede Menge Asche. Rauch. Schwaden. Exhalat aus zehn mal zwanzig Atemzügen. Und zigfaches Aufblitzen und Funkenflug. Und die Reste: zerstossen passten sie mühelos in die Streichholzschachtel daneben. Ins Urnenäquivalent. Sargnägel, nennt man sie auch.

ein kleines spiel mit der ewigkeit. mit dem, was man sich darunter vorzustellen vermag. mir fällt ein buch von nicholson baker ein. ich schreibe den titel auf. a box of matches. ich notiere dazu: „kleine phänomenologie der morgenstunde“. und: „mehr dazu bald“.