10. Schachtel (Mutmassungen)

Was ist noch darin in den Kartons, Kisten und Koffern? Wäsche vielleicht? Eine rote Strickjacke. Ein altes Jackett. Strümpfe. Ein Handschuh. Der andere ging verloren. Vakanz. Jeder weiss, es geht nicht um die Kleidungsstücke, die sich noch darin befinden, sondern um die, die sie getragen haben oder sie vielleicht noch tragen. Die andere Hälfte eines Paares. Oder: wo und wann man sie getragen hatte. Also geht es auch nicht um einen Karton oder eine Schachtel, sondern um ein Zeugnis, das sie wiederum mantelt. 

es geht um die angst. um einen schuh, genauer: um den anderen, treten sie nicht als paar auf – an einer strassenecke, an einem kleinen bach im wald oder an den fernbahngleisen. es geht um den gemutmassten verlust. es geht vor allem um die angst vor der eigenen phantasie.

9. Schachtel (§2, KdU)

In einem Trödelladen habe ich mir einen Koffer für zehn Franken gekauft. Äusserlich sieht er aus wie ein Werkzeugkoffer. Im Innern, wie man erst nach dem Aufklappen feststellt, befindet sich eine Registratur mit fünfundzwanzig Mappen und ebenso vielen Reitern. Ich will sie schon lange befüllen, doch es geht nicht. Die Ordnung, die Zahl der Möglichkeiten der Ordnung ist mir zu gross oder zu klein. Ich schliesse den Koffer wieder und werde ihn auch weiter geschlossen halten. Der Werkzeugkoffer ohne Funktion hat eine Funktion. Er ist einfach nur schön. Und: die leeren, unverwalteten Mappen sind darin bestens aufgehoben.

[anschluss an 8. schachtel“> … wenn ich merke, nein, das kontingente, dann schreibe ich: oder. oder beides. und: auch. auch das. damit, denke ich, schliesst sich die haut wieder, oder der kreis, will man sprichwörtlich bleiben oder achteckig, und ob es unterscheidbar ist, oder irgendetwas anderem sehr ähnlich, und aufs geradewohl ist noch ein name zu erteilen. oder einige buchstaben.

8. Schachtel (Signifikant)

Schreib doch mal, warum und worüber du schreibst, wird mir manchmal gesagt. Das heisst, es wird als Frage formuliert. Auf die erste kann ich noch immer keine Antwort geben, nicht, dass mir nichts dazu einfiele. Ich habe einfach noch nicht die richtige Form der Antwort gefunden. Anders verhält es sich dagegen mit dem Worüber. Sie ahnen es schon. Ich schreibe über Kartons, Schubladen, Schachteln und Koffer, eigentlich alle Gefässe und Orte der Aufbewahrung spielen eine tragende Rolle. Natürlich auch das ganze Drumherum, in zweiter Linie. Das über und unter dem Zwischen der Zeilen.

meistens ist damit ein leerer raum gemeint. er ist, wie schon einmal erwähnt, nicht vollständig leer, aber bis zu einem gewissen grad: leer gedacht. das wäre der anfang. dann füllt er sich langsam, wie das papier, auf dem auch dieser text ursprünglich stand, bis er endlich zu einem begriff gefriert, für den es freilich noch kein wort gibt. manchmal dringt danach etwas in sein innerstes, wie durch eine fluide membran, und sammelt sich dort an. man nennt es ablagerung. und – muss ich dann weiterschreiben, während dieser text entsteht. und korrigiere mich und ihn vielleicht.

7. Schachtel (Grammantik)

Dieser Schachtel liegt eine wirkliche Schachtel zugrunde. Sie ist aus grauem Plastik, enthält neun Fächer und ist oben immer offen. Sie ist eigentlich keine Schachtel, sondern ein Zettelkasten oder eine Registertonne. Sie ist vorne beschriftet und hinten nicht: Schachteln oder Den Ursprung umkreisen, steht darauf. Darin finden sich einige jüngst bedruckte Zettel aus altem Papier mit zwei am Rand orthogonal zueinander stehenden Linen. Irgendwo findet sich Platz für den Haupttext. Darüber (über der längeren Linie) ist Platz für den Titel. Er gestaltet sich immer so: X. Schachtel (XXX)

man müsste ein Bild dazu einstellen, um ihre vorstellungskraft zu beleben. doch es würde sie nur schwächen. kommen sie doch einfach mal vorbei und schauen sie es sich an. in dieser schachtel sollte übrigens etwas ganz anderes stecken. seis drum. nun wissen sie, dass ich es mit den begriffen nicht ganz wörtlich nehme … und: selten spielt ihre grösse eine rolle. (andere sagen vielleicht: gattung oder form und bezichtigen mich des mordes oder der scharlatanerie).

6. Schachtel (Doppelte Böden)

Was ist in dieser Schachtel? Zettel, Zeugnisse vielleicht oder Spielsachen? Wahrscheinlich befinde ich mich darin und halte gerade eine Streichholzschachtel in der Hand. Wahrscheinlich kauert darin eine Fliege und denkt sich ihren Kosmos und mich dazu. Ich dagegen mache mir Sorgen um unsere Perspektive. Besser gesagt, stelle mir die Frage: ist er doppelt unendlich? Oder dreifach?

heute gibt es nur abgerissenes denken. heute gibt es nur, was und wie es vorgefunden wurde. heute gibt es satz an satz und die schnörkel, die bändchen und schleifen um die gedanken bleiben zuhause. in allen farben.