5. Schachtel (Projektionen)

Ein Karton ist ein nur fast ideales Magazin. Eine Auslagerungsstelle für die noch unbestimmte Zukunft. Und ist es dokumentiert, darf man es getrost Archiv nennen und dabei auch Trost empfinden. Seine Inhalte wärmen sich im Mantel der Erinnerung und warten auf den Tag, das Schweigen zu brechen. Man muss aber auch auf seine Feuchtigkeitsempfindlichkeit hinweisen, und darauf, dass schon viel Gelagertes sich bei der Bergung als sein Gegenteil entpuppte. Den Dingen eine Hülle zu geben, erspart nicht deren regelmässige Besichtigung. Und Lüftung. So auch beim Wort als Karton des Dings.

um noch weitere spezialformen zu nennen: den koffer, der einen spezifischen raum beschreibt, dieser aber geradezu und ausschliesslich prädestiniert scheint für die zwischenlagerung UND bewegung seines inhalts. und: einen endlichen raum durch den unendlichen zu tragen. man kann schon darum nicht mehr sagen, es befände sich nichts darin. ein koffer ist nie leer.

4. Schachtel (Horten)

Wären da nicht die Andeutungen. Die nicht begriffenen Sachen, die trotzdem benannt wurden. In den Heften und Briefen, und den Briefen die folgten. Und denen, die nie abgeschickt wurden. Und denen, die ich an mich selbst adressierte, und die nun, es ist dunkel heute Abend und der Wein bald zur Neige, gefangen sind. Bewacht werden in entfremdeten Kisten und verjährten Kellern an den Rand gedrängt. Die aus dem Blick gezogenen Schachteln, in fremder Gewalt: die Zell- und Zeilstoff angreift und löscht und auch die anderen Substanzen zermürbt. So liegen die Andeutungen jetzt, meine und ihre, in jahrzehntealten Wörtern, seinerseits. Und noch mehr: die ganz alten Wörter, die es heute nicht mehr gibt. Die Wörter der Väter und Mütter, die zuerst benutzt wurden, in ganz fremder Umgebung, sodass sie sich gar nicht mehr eigneten, ausgesprochen zu werden.

voilà. ich wurde nach einem konkreten beispiel gefragt. ich musste da nicht lange suchen. es befindet sich im kapitel 6.08 („Das Dritte“) des romans, das ich just an dieser stelle überarbeite. ich arbeite mit einem ausgeklügelten system von nummern. ich finde die stellen blind.

3. Schachtel (Schlussszenen)

Ich sprach von der künstlichen Haut der Dinge. (Verschiedener Dinge, zumeist Wörter, die zusammenverpackt wurden und auf die kein rechter Begriff, ein Sammelbegriff, mehr passen will). Will aber auch auf die logistischen Vorteile hinweisen, keine logistischen Vorteile, aber Vorteile für Logistiker. Die Verschnürbarkeit und Versendbarkeit. Die Verkleb- und Adressierbarkeit. Die Stapelbarkeit, von der ich jetzt schon denke, dass man darauf noch oft zurückkommen wird. Die Faltbarkeit, natürlich, also auch die Möglichkeit einer zweidimensionalen Darstellung.

in “dranmor” natürlich. man begehe nur die keller, dachstuben und arbeitszimmer. in den träumen meiner frau. immer wieder. ein fast ständiges motiv – oder ein ort? überhaupt: die orte. man muss sich nur etwas umschauen, schon steht da etwas, das unbedingt geöffnet werden möchte. und gleich daneben: etwas, das unter gar keinen umständen entdeckt werden will.

2. Schachtel (ad Abfall)

Eine richtige (eine ernsthafte, abgrundtiefe, steinharte, undurchdringbare, massive, geltungssüchtige) Poetik, eine Schrift über das Schreiben (das Warum und Worüber), mit System und Wahrheitsanspruch (das Wie, mit Letztbegründungsanspruch etwa, mit Dach, weiter: eine Poetologie), nein, das kann und will es nicht werden. (In einem Artikel über Bazon Brock hat man Hersteller des Letzteren einmal als Igel bezeichnet, des Ersteren als Füchse). Weder Füchsisches noch anderes, also, denn eine Abgeschlossenheit (eine Abgeschiedenheit und Verschlossenheit) verdient dieses Thema nicht. Es wird vielleicht eher ein Text aus lauter Nebenbemerkungen. (Warum hier viele Klammern stehen, wird auch noch besprochen werden, auch: die Anführungszeichen; die ganze Palette der Satzzeichen).

liebe freundinnen und freunde des würfels: ich muss sie enttäuschen. er wird als spezialform gewürdigt werden. erwähnt, aber nicht gefeiert. ein würfel ist in seiner form schwer zu begreifen. in ganz wörtlichem sinne. schlecht anzupacken und zu stapeln. es ist auch eine frage der balance. und es wird um das stapeln gehen. und um verschiedene materialien. karton, beispielsweise, das gut beschriftbare. das zerreiss- und knickbare. das brennbare. auch um das lagern und nummerieren. und das auspacken, auch häuten genannt …

1. Schachtel (Pandora)

Kleine Poetik der Schachtel oder Das Denken in acht Ecken steht auf dem ersten Zettel, der schon lange nicht mehr alleine liegt. Ob der so gross angelegte Titel hält, was er ankündigt, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Aber dreissig Blätter (Tendenz steigend) werden jetzt schon von einem porösen Gummiband zusammengehalten, gewellt und durchgedrückt. (Auf deren Rückseite jeweils alte Manuskriptstadien der Träume meiner Frau u.a., so geht das). Höchste Zeit also, sie hier langsam einzufügen und abzulegen – in dieser Abteilung oder auch Schachtel, wenn man so will.

“sie schreiben wohl gerne über truhen, kartons, schachteln und andere gefässe der aufbewahrung“, fragte man mich neulich. das ist richtig, habe ich geantwortet. umso folgerichtiger und notwendiger ist mir gerade das nachdenken und schreiben über das schreiben über schachteln … so bezeichne ich also auch die kommenden einheiten und nummeriere sie, bitte daraus aber noch keine ordnung abzuleiten. es sind zunächst einmal lose notizen, die in einem eigentlich viel zu grossen raum herumgeschleudert werden.