alpenlauschen – Ein Neuwerlich, Lustig, Ernsthafft Poetisch Gastmahl und Gespräch zweyer Bergen in der löblichen Eydgenoßschafft und im Berner Gebiet gelegen: nemlich des Niesens und Stockhorns als zweyer alter Nachbaren – Zweyter Theyl
n: ich habe von ihrem seitensprung gehört. jetzt schon zum zweiten mal. ich muss schon sagen: nanana
s: pst! nicht so laut, das muss ja nicht die ganze welt erfahren. im süddeutschen, olala, In Meyens lust wer serr spatziert / in schönem gut sich erlustiert /– sie verstehen was ich meine?
n: Dennoch er sich umbwenden muß / Und heimwertz richten seinen Fuß / (223) . das hatten wir ja schon mal. und wie wars mit italien?
s: ich kann ihnen erzählen. groß reichthumb / lust / und kurtzweil /. aber wie sie schon sagten, daheim ists halt doch am schönsten.
n: ich weiss nicht so recht. sie wissen ja, ich bin nicht unbedingt ein politischer berg, aber wenn man dem treiben hier so zuschaut. überall quärulanz und miesepetrigkeit dort unten. man wäre recht froh, wenn man mal abstand gewinnen könnte. der mensch ist ein trauertropf. Bald ist er krank und fürt groß klag / Das ihn niemans geschweigen mag / (414)
s: Jahaa. Was einer lobt der andre schilt / So sach es an nur wie du wilt / Der kranke Mensch geht drob zugrund /. wem sagen sie das? die humanoide jammerkonstante. Den felts in Reben / Den am Weib / Die ist zänckisch / treibt mutwill / keib / Die lieb ist hin / verkeert in haß / Sie spinnet gern nur beym Weinfaß / (415/6). ach, wie wir reimen können. mir ist so recht parnassisch zumute.
n: wo wir gerade davon reden, ich bin schrecklich hungrig und durstig, hätten sie vielleicht ein glas saft und etwas zu knabbern da?
s: ein paar flechten, hölzer und gletscherwasser, wohl bekomms! habe ich ihnen schon von dem neu eröffneten naturlehrpfad auf mir berichtet? ich sage ihnen, dort erfahren sie alles, was sie wissen müssen. warum die ameise im nadelwald lebt, und der specht im buchenwald, warum das edelweiss kalkige böden bevorzugt. selbst einen obstlehrpfad, einen “öpfelchüechliwäg” haben sie nun eingerichtet.
n: (schmatzt) erlebniswege. schlimm, was schon alles gegen das vergessen veranstaltet werden muss. ich sage ihnen, gehen sie auf einem erlebnisweg, ist das ganze erlebnis weg. haha. ich sage ihnen, wir werden schon von einer so richtig primitiven spezies bewohnt, ja, bewohnt sage ich. häuser bauen sie auf mir, tunnel graben sie in mich hinein und richtens sich so richtig wohnlich ein. ich an deren stelle …
s: ja, das ist schon der gipfel! rocky pathless melancholy! man kommt sich so richtig missbraucht vor. ich liess mir ja schon einiges gefallen. nehmt mein gold, mein erz, taucht unter in meinen heilquellen. Das wer manchem süß Himmetltaw / Da wurd mancher sein gut verzeeren / Mancher in Baden sich erneeren / (455). aber, muss man sich denn alles gefallen lassen? bin ich ein zauberberg, der für alles herhalten muss?
n: (hustet)
s: passen sie auf, dass sie sich nicht an den drähten verschlucken!
n: die eitelkeit macht den menschen blind: kan er drey linien ziehen sein / so wil er schon Euclides sein / Poeten habens troffen recht / keiner sein dichten halt für schlecht / (477). jaja die dichter, man hört nicht mehr auf sie, und es scheint, als könnten, als wollten sie nicht mehr visionen entwickeln.
s: kein mensch hört mehr auf die dichter. stattdessen erlebniswege. die ameise im nadelwald, der specht im buchenwald. interfakultäre koordinationsstellen für allgemeine ökologie in jeder kleinstadt.
n: sie alter romantiker! was erwarten sie in zeiten der massenwanderungen? dass sie unberührt davon blieben? dass das nur im kopf stattfände?
s: nein, ich habe nichts gegen freiheiten, wenn nur jeder eine vernünfftig grenze ziehen könnte, in sich selber. kein mensch käme dann auf die idee, mich mit einem schokoriegel zu besuchen.
n: was sie verlangten, wäre dann ein zeitloses sittenbrevier. ein kategorischer definitiv. ein vertrag zwischen berg und mensch. ein wahrhaft olympischer gedanke!
s: das haben sie gesagt.
n: und zwischen berg und berg, ich sage nur: die süddeutsche, die italienische. ohne die lust auf den unterschied, den vergleich …
s: sie haben mich ertappt!
n: ich meine ja bloss. von hier oben lässt sich ja im allgemeinen einiges sagen. vor allem, wenn man nicht drinsteckt.
s: gelehrte selbstgerechtigkeit meinen sie?
n: Bist du recht g’leert niemands veracht / Was lieb und demut sey betracht / Den spreissn sichst beim Nechsten dein / Sein Wort und Werk muß unrecht sein /
s: Und du bey dir sichst nicht dein Sparren / Bist offt thorhaffter dann die Narren. / (436/7). sie haben ja ein gedächtnis!
ENDE szene II