Melancholie und Selbstmord, Trunksucht und Ausschweifung sind die Geschwister der Kreativität – und seit je scheiden die Geister sich an der Frage, ob das eine die Folge des anderen oder seine Voraussetzung ist. Sei es, dass der Schatten der Melancholie sich schon früh auf die Lungen legte, sei es, dass die Dichter die Schmerzen – und mehr noch die Banalitäten – des Daseins im Suff ertränkten: Das Wissen um die Vergänglichkeit ist die Geburtsstunde der Literatur und der Tod ihr Gevatter. Vita brevis und vanitas vanitatum: Ob sie sich ins Koma saufen oder kühlen Kopfes selbst Hand an sich legen, ob sie wie Hemingway die Todesnähe auf Löwenjagd suchten oder wie Proust ihr im Bett die bleiche Stirn boten – Schriftsteller, so wenigstens geht die Legende, sterben früher als andere Leute. Wer aber hätte gedacht, dass es auf diesem Feld auch unter Dichtern noch eine Rangfolge gibt. Von allen Schreibenden, hat nun eine Studie des amerikanischen Psychologen James C. Kaufman (…) herausgefunden, sind die Lyriker ganz besonders gefährdet. Demnach sterben die Verseschmiede durchschnittlich gut ein Jahr früher als Dramatiker und knapp vier Jahre früher als Romanciers. Den Verfassern von Sachbüchern, die geübter im Umgang mit den Forderungen des Faktischen sind, bescheinigt die Studie die längste Lebenserwartung unter den Autoren. (…) Die Studie erschien unter dem Titel «Der Preis der Muse – Poeten sterben jung» in dem Journal «Death Studies». (…)
aus: Selbstmord und Sonette, Lyriker sterben schneller, nzz