Die Reinheit

(M45)

Aber ich konnte den Gedanken nicht logisch beenden. Außerdem mußte Ilonka gar nicht getröstet werden. Schon am ersten Nachmittag sah man ihr an, daß sie sich in der Bibliothek wohl fühlen würde. Womöglich, weil ihre Empfindsamkeit, ihre Scheu in jenem geordneten, verlässlichen und von jeglicher Bosheit freien Kosmos der Wissenschaften und in seinem sichtbaren Körper, der Bibliothek, auf einen beschützenden Ort der Ruhe gestoßen war. Es ist so gut zu wissen, daß alles an seinem Platz ist und auch so fern und unpersönlich. Launen und Gelüste kommen und gehen wie unruhige Touristen, aber die Folianten sitzen still an ihren Plätzen und warten auf die lesenden Jahrhunderte. Autobusse, Taxis, Metros tragen rasend das, was Transparente in die Welt hinausschreien: den dreckigen Stoffwechsel des Lebens – die Bibliothek aber birgt nur Reinheit in sich.

Aus: Szerb, Antal. – In der Bibliothek : Erzählungen / Antal Szerb ; ausgewählt von György Poszler. – München : dtv, 2006