Spekulationen zum Verständnis einer Funktion als Figur
(Essay, Beta)
4 Den Troll lesen 2
Die Bedeutung der Figur
Fehlt’ es an Burschen, so liebt man ‘nen Troll
Henrik Ibsen, Peer Gynt
In diesem Abschnitt soll eine weitere, andere Herangehensweise der Analyse und Lektüre von Trolltexten skizziert werden. Wurde im vorangegangenen Kapitel der literarische Trolltext in seiner Beziehung zu einer einzigen angenommenen Leseinstanz typologisiert mit dem Ergebnis, dass sich je nach Trolltextsorte/-intervention der Gesamttext in unterschiedliche Richtungen bewegen bzw. verschieben kann, so wird in dieser Abteilung davon ausgegangen, dass ein Trolltext selbst in einem komplexen Beziehungsgeflecht mit diversen Textinstanzen steht. Ein Trolltext ist damit nicht nur ein Element eines mehr oder weniger überschaubaren Gesamttextes, dessen Hauptintention (im Literarischen Weblog oder literarischen Weblog) diesen unter einen dezidierten Lektüremodus stellt.
Ausgehend vom Trolltext als Textsubjekt bzw. Textinstanz soll dieser nun einmal aus dem Blickwinkel seiner Umgebung betrachtet werden. Er adressiert sich und kommuniziert zwar immer zeitgleich mit anderen Textinstanzen,

Abb.: Der Trolltext und seine Adressaten
doch die Untersuchung des konkreten Falls einer Intervention, der Aufnahme einer Beziehung mit vorangegangenem Text bzw. die direkte Ankopplung an eine Beziehung zwischen Texten, die auf unterschiedliche Art und Weise stattfinden kann, birgt Möglichkeiten einen Trolltext als spezifische Dialogfigur jenseits des Textinhaltes zu lesen und an dieser weitere Interpretationsmuster anzulegen.
Mit anderen Worten: Wenn es also darum geht, den Trolltext zu lesen, wurde er vorab als Typus beschrieben, der sich in seinem Umfeld aus Sicht der Umwelt ausdifferenzieren kann. Er steht dann in einem Aussen-Innen-Beziehungsverhältnis, dockt an andere Texte an und bewirkt etwas auf ästhetischer Ebene.
Die umgekehrte, Innen-Aussen-Perspektive zielt nicht auf das Andocken von Text an Text unter sprachlich-literarisch-textästhetischen Kriterien ab, sondern schliesst vielmehr aus psychologisch-semantischen Faktoren. Dazu gehören bspw. Fragen, wie: An welche (und wieviele) Textbeziehungen kann solch ein Trolltext andocken und welche unterschiedlichen Bedeutungen und Merkmale könnten daraus abgeleitet und in der Folge interpretiert werden, nimmt man den Trolltext als Figur einer grossen, offenen Erzählung an? Aus diesem Ansatz, der Frage der Lesbarkeit eines Trolltexts als Figur, vermag eine Art Textsubjektrelationsmodellierung entstehen, die wohlgemerkt nicht die Verfasstheit einer imaginierten Trolltextautorschaft ins Auge fasst, aber jene einer vorgestellten literarischen Figur.
Bei der Lektüre dieser Texte von innen her können Beziehungen aufgedeckt werden, die will man solche Texte als Dialogfiguren z.B. in einem LW begreifen Aufschlüsse geben können über das imaginierte Personal dahinter. Freilich soll dieses nicht mit einer Autorschaftsfiktion gleichgesetzt werden. Der Ansatz befindet sich viel mehr eine Ebene darüber (bzw. – je nach Perspektive – darunter), und heisst diese Texte innerhalb ihrer Textkopplung mit einer (charakterlichen) Psychologie einer Erzählfigur beispielhaft in Beziehung zu bringen. Je nach Interpretationsansatz, Zuordnung etc. könnte damit ein Lektüreansatz unterschiedlich ausfallen. Es soll hiermit aber kein Wahrheitsmodell in Ansätzen entwickelt werden, sondern nur ein mögliches Werkzeug präsentiert werden, mit dem man bei der Analsye eines LW Trolltexte mit in diese Beschreibungen einbeziehen bzw. diese beleuchten könnte.
Der Übersichtlichkeit halber werden hier folgende Abkürzungen für die Textebenen bzw. elemente verwendet:
DB = Datenbank (Der Gesamttext. Die Summe aus vorgestelltem Code, der Codierung, Software, Ästhetik, Navigation usw., also jedes sichtbare und unsichtbare Zeichen der Webpräsenz.)
GT = Gesamttext (Hier: nur der sichtbare, nackte Text, wie man ihn bspw. in einem Feedreader / einer XML-Version lesen könnte)
AT = Autortext (Der Text in einem Post)
LT = (Der Lesertext / Kommentar. Der Kommentar eines Autoren eingeschlossen.)
TT = Trolltext, anderer Trolltext
Spielt man einmal die möglichen Beziehungen dieser Textelemente durch, ergeben sich (mindestens) folgende Relationen bzw. Paarungen des Austauschs, Dialogs oder Miteinanders von Text mit Text, in die sich der Trolltext einmischen kann.
DB GT / DB AT / DB LT / DB TT / GT AT / GT LT / GT TT / AT LT / AT TT / LT TT / (TT TT)
Eine ankoppelnde Intervention eines Trolltextes an obige Beziehungen könnte mit folgenden Äusserungen (auch: Argumenten) bzw. in folgendem Äusserungsmodus geschehen. Beispielhaft sollen nun einige Versuche folgen, die aus diesem Modus solche Rückkopplungen einer TT-Figur als sprechende literarische Figur tendenziellerweise charakterisieren bzw. interpretieren:

Dieser eher interaktionsanalytische Ansatz eignet sich für Werke mit vielstimmigem Dialogpanorama (27). Die Teilnahme von Trolltexten als Figuren könnte womöglich unter solch einer Gattungskonstellation klassifiziert und mit solchem Werkzeug beschrieben und ausgedeutet werden. Natürlich muss davon ausgegangen werden, dass ein spezifischer Trolltext nicht nur einem einzelnen, ausgesuchten Relations/Interaktionsschema folgen wird. Je nach Interaktionsmenge, Trollintensität (des Trolls als Figur) wird es Überschneidungen, Verschiebungen, Verdichtungen der Interaktionsphären und schwerpunkte geben, ein Changieren zwischen den Ebenen stattfinden, aber genau diese Bewegungen könnten weiter analysiert und gezeichnet werden und man würde feststellen können, ob und wie sich Trollfiguren entwickeln, vielleicht von flachen zu runden Charakteren (flat/round (28)) mutieren etc. Auf dieser Grundlage wiederum könnten klassische, erprobte Methoden der Text- und Figureninterpretation als Kritik angewendet werden.
Next: 5 Funktion und Figur – Beispiellektüren, Anwendungen, Merkmale
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27 Vgl. auch oben erwähntes, klassisch-modernes Beispiel von Karl Kraus Die letzten Tage der Menschheit, dessen Prinzip der Präsentation von zeitgenössischem (Sprach-/Aussage-)Diskurs und das Wenden des Materials ins Künstlerische. Ebenso wäre bspw. ein LW und sein mäanderndes, waberndes, ausgreifendes Textgeschehen zu begreifen.
28 vgl. http://wiki.answers.com/Q/What_is_a_flat_character