(Selbst ein Vielgereister)
Warum ich also in den Regalen Staub wische, den Boden erst mit dem Staubsauger, dann mit einem feuchten Tuch aufnehme? Es gibt doch andere, wichtigere Dinge zu tun … Ich kümmere mich um mich selbst, wenn ich abends von der Arbeit komme. Mein Selbst, das, was man vielleicht als solches bezeichnen möchte, das sind die Dinge, die ich bewohne, in zweiter Linie sind das auch der Boden, die Regale, die ich bald mit Büchern befüllen werde, sind dann auch die Schränke in der Küche, die gereinigt wurden, soviel ist zu erkennen, aber dennoch Gilb, dünne Schichten öligen Films über der Kochstelle zeitigen. Reste, Geschichten unbekannter vorgängiger Zutaten, die ich nicht sehen, hören oder riechen will, die einzeln vielleicht einmal bekömmlich waren, jetzt aber fremde Folie sind, stinkend und klebrig.
Meine zwei Henkeltassen, ein paar Teller, tiefe und weniger tiefe, stehen bereit auf dem Küchentisch, warten einsortiert zu werden, nun: Nur noch dieser eine Wandschrank letzter Tresor, der meiner Aneignung harrt, der Säuberung mit einem fremden Papiertuch. Altes angeschimmeltes Zeitungspapier liegt auf dem Schrankwandboden als möchte es etwas verstecken, verbirgt aber nichts und ich bin bereit, dieses zu beseitigen.
Eine Quartiersschrift aus den Sechzigerjahren, etwas ist unterstrichen, schwer leserlich, ein Name, Strassenname Schönsteinweg entziffere ich, formerly known as Junkerngasse, spreche ich zu mir selbst, übersetze ich flapsig, das also meine Strasse aha, sie hat also Geschichte, meine Strasse, und ich stelle mir den kleinen Stolz des vorletzten Lesers dieser Schrift vor, der diese Unterstreichung veranlasste. Der Vielgereiste, so der Titel der Kolumne Anstösser. Hier hatte also einer gewohnt, auf den die Nachbarschaft stolz war, ihn zumindest bemerkenswert fand, obwohl die Strasse nicht seinen Namen trug. Eine kursive Einlassung Ein vergilbtes, verfallenes Gedicht, ich rekonstruiere zwei Zeilen:
Dort wo die Tannen stehn,
Da möcht`ich schlafen gehn.
Ich gähne und breche die Lektüre ab, überspringe die Verse. Ein Blatt aus irgendeiner Knabenzeit, denke ich. Hier sei einer letztlich gelandet, nach einer Odyssee behauptet der Autor dieses Artikels. In dieser Strasse. Eine ruhige Strasse. Strasse der, seiner letzten Ruhe. Weltfahrerstrasse, Endstück.
Man könne sein nun allerdings verwahrlostes – Grab immer noch auf dem Ostermundiger Friedhof besichtigen. Tragisch, seine letzten Tage hier in dieser Strasse, man habe nicht viele Informationen darüber, aber ein Zeitgenosse habe viele Fragen gestellt und unbeantwortet gelassen. Anrüchigkeit. Ein Herzschlag wurde als Todesursache in einen Totenschein eingetragen, aber es habe hässliche Szenen gegeben im Schönsteinweg, formerly known as Junkerngasse 41, so die genaue Adresse vor ihrer Umbenennung. Warum Umbenennungen? Ungerade Dinge. Man habe Reitpeitschenstriemen an seinem Körper gefunden. Weitere gruselige Details möchte man hier nicht nennen.
Ich lege die Seite auf den Altpapierstapel und mache mich mit einem Putztuch an dem Schrankboden zu schaffen. Der Film, der Geruch lässt sich nur schwer vom Boden lösen ich brauche Stunden, so kommt es mir vor, bis ich mit dem Ergebnis einigermassen zufrieden bin, und räume dann das Geschirr ein.
Es ist nicht das Letzte, was ich heute zu tun gedenke, noch weitere Arbeiten sind zu erledigen, nun, nicht mehr so sehr in der eigenen Wohnung, diese sollte vorerst einen bewohnbaren Zustand erreicht haben. Aber: das Treppenhaus. Der Garten. Die Pflichten. Ich öffne den Bücherkarton mit den Lexika.