Dranmor II,1a

(Floskeln)

Kalt erwachen. Sich dann an den Schreibtisch setzen. Lieber Roman. Ist er denn lieb? Sehr geehrt ist jeder, der nicht lieb oder Hallo ist. Guten Morgen vielleicht. Ist er denn gut? Vielleicht ist er es ja noch. Guten Mittag ist schlecht und wie Guten Abend noch nicht Zeit dazu. Es ist Morgen. Hallo Roman, also. Meine Strassenbahn fährt in einer halben Stunde. Es fahren noch andere – früher, später. Ich will aber meine Tram, die mit den immergleichen grauen Gesichter. Meines gehört dazu und ich will nicht, dass sie sich sorgen. Sechsundzwanzig Minuten also für den ausführlich gedachten Brief. Papier liegt da, ein Bleistift ist schnell gespitzt. Eine kleine Gedankenskizze hatte ich mir vor dem Einschlafen zurechtgelegt. Eine Zusammenfassung mit dem unausgesprochenen Fazit: Ich bin alleine, könnte etwas Gesellschaft brauchen, würde sonst vielleicht etwas komisch werden. Sei er es auch – wir wären schon zu zweit. Erst eine Seite, dann Zwei. Eine für ihn, eine für mich. Fragen. Antworten. Dann Streichungen, immer mehr Streichungen. Zuletzt ein paar wenige Sätze. Paraphrasen.

Ob man sich wieder einmal treffen könne. Ich hatte zuvor solle geschrieben, dann verworfen – gerne auch mal abends. Ich hätte den Rest der Woche noch nichts geplant, hätte von einer neu eröffneten Kneipe gehört … Das passt getrost auf eine Karte. Hässliche Karten. Unangemessene Karten in meinem Kartenkasten. Die meisten bedruckt mit schablonenhaften Wörtern, Sätzen, die keinen Sinn ergaben – nicht in diesem Zusammenhang. Hässliche Briefmarken. Unangemessene Briefmarken, die den Sinn des nicht- oder falschverständlichen Drucktextes, des ganzen Ensembles, ästhetischen Kartenbrimboriums mit dem noch von mir Hinzukommenden zu einer vollständigen Umkehrung des eigentlich Mitzuteilenden verführt hätte, Verwirrungen ausgelöst hätte, denke ich mir, bekäme ich eine solche Karte.

Das zu Sagende schmilzt langsam zu zwei handlichen Sätzen. Ich schreibe eine Email anstelle. So viele Gedanken um nichts, um ein paar wenige Byte. Send. Ich schicke ab und bedanke mich leise für die Sendebestätigung, fahre hastig in meine Jacke, den Laptop herunter, die Treppe, die Türe zu. Das Gas. Jeden Morgen die gleiche Frage am Treppenabsatz vor dem Haus, ob ich das Gas abgestellt hatte. Jeden Morgen der Gang zurück, die Treppe hinauf. Die Überprüfung des Hebels über dem Herd. Jeden Morgen das plötzliche Erinnerungsbild mit fast haptischer Präsenz: Der Hebel wurde natürlich umgelegt – gleich nach dem Vollschenken der Tasse. Hinunter, hinaus.

Ich erreiche die Strassenbahn dennoch in vorgeblichem Schlenderschritt. Dieselben Gesichter an der Haltestelle. Vereinzeltes Kopfnicken. Sie haben nichts bemerkt.

Ich beginne zu Arbeiten, als ob Arbeit irgendwo begönne. Ich habe alle Kolleginnen und Kollegen freundlich begrüsst, meine Jacke an einem dafür vorgesehenen Hacken gehängt, meine Plastikbox mit dem Pausenbrot, die Wasserflasche dort aufgebaut, wo ich sie immer aufzubauen pflege. Wo sie aufzubauen ist, der wenigen Möglichkeiten wegen.

Benutzernamen und Passwörter werden mir abverlangt, um endlich das tun zu können, was man von mir erwartete. Ich überprüfe als erstes den Posteingang. Ein paar Werbemails. Sitzungsprotokolle. Eine Antwort von Roman. Er sei einverstanden. Morgen Abend sei ein guter Zeitpunkt; man könne sich gerne nach der Arbeit um Sechs in jener ehemaligen Turnhalle – ob ich das wüsste -, nun eine Künstlerbeiz, wie er es nenne, treffen. Er fände die Leute dort seltsam. Seltsam auf eine angenehme Art. Angenehm seltsam. Ihm gefalle das Seltsame – es ziehe ihn an. Wenn er nichts mehr von mir höre, sei es also abgemacht.