(Deadline)
3 / Ob wir nicht beide an diesem Wettbewerb teilnehmen wollten? Fragt er. Tote Dichter leben sei das Thema und anbei schickte er mir den Verweis auf die Verlagshomepage mit der ausgeschriebenen Anthologie. Ich überfliege: Nicht mehr als zehn Seiten … wenn sie Verfasser des eingereichten Textes … Einsendeschluss bis zum … die üblichen Phrasen.
Tatsächlich, ein verlockendes Projekt, und Roman scheint schon daran zu arbeiten. Natürlich arbeitet er an Dranmor, wird ihn dafür ausschlachten. Ich frage mich, warum er mir diese Information weiterreicht. Sooft, wie wir schon über ihn gesprochen hatten, müsste er nun eigentlich auf den Verdacht kommen, dass ich selbst mich mit ihm beschäftigte, ihn für mich nutzbar machen wollte. Er weiss auch dass ich Quellen habe, von denen er noch nichts gehört oder gelesen hatte, hatte aber auch nie den Versuch gemacht, diese von mit einzufordern. Warum fragt er mich. Wollte er mit mir zusammen etwas schreiben. Ich werde ihm zurückschreiben, werde ihm sagen, dass ich mich nun auch intensiver mit Dranmor beschäftige, aber darauf bestehen, dass wir unsere eigenen Wege gehen. Vielleicht sollte ich ihm sogar mitteilen, dass ich an diesem Wettbewerb gar nicht interessiert, dass die Deadline in zu naher Zukunft sei, dass ich ihm nicht in die Quere kommen werde. Mich aber dazu bereit erkläre, gerne wieder und ausführlich mit ihm über Dranmor zu sprechen, und dann schaue, ob ich nicht vielleicht doch bis zu diesem Zeitpunkt einen halbwegs passablen Text zustande bekomme und ihn dann einsende. Würde ich nicht genommen werden, dann würde er nie etwas davon mitbekommen, und wenn doch, nun ja, ich würde dafür schon eine Erklärung finden, es ist ja doch eher ein aussichtsloses Unternehmen.
Nicht, dass ich ihn als Konkurrenten fürchten würde, ich glaube auch nicht, dass er mich mit den Dingen, die ich vor hatte zu sehr ernst nähme, aber eine zu grosse Offenheit würde auch unser Verhältnis belasten, destabilisieren. Ich hatte aus der Vergangenheit gelernt und werde mich nicht mehr auf jemanden bedingungslos verlassen, mir immer eine Hintertüre offen lassen. Ich denke Roman sah das genauso, und er würde jetzt noch immer so denken und handeln. Ich hatte meine Erfahrungen gemacht und die Tatsache, dass ich mich nun wieder langsam mit ihm anfreunden konnte, das wäre nun vielleicht etwas zu viel gesagt, aber, dass wir uns wieder häufig trafen und bis ins Harmloseste plaudern konnten, zeigte mir, obwohl ein kleiner Restschmerz, ein dumpfes Stechen, wenn die Erinnerung wieder heraufkam, sich bemerkbar machte, beruhigte mich, es würde sich schon wieder ein Gefühl der Vertrautheit einspielen.
Es ist schon spät und ich habe zu viel Rotwein getrunken. Ich werde den Brief morgen schreiben, so, wie ich es mir jetzt zurecht gelegt hatte.
Ich räume meinen Schreibtisch auf, lösche das Licht und gehe in mein Schlafzimmer, um mich umzuziehen. Eine Talkshow läuft noch im Zweiten. Ich stelle auch den Fernseher ab und beschliesse mein Hörspiel weiter zu hören. Die Buddenbrooks eigneten sich hervorragend zum Einschlafen. Ich brauchte in der Regel nur fünfzehn bis zwanzig Minuten, um von der Erzählerstimme eingelullt worden zu sein, wache dann noch einmal auf, wenn die CD mit einem lauten knacksen am Ende angekommen ist, schalte dann die Anlage, die neben meinem Bett steht aus und schlafe dann vollends ein. So betreibe ich es schon seit Wochen um Schlaf zu finden, ohne allzu viel Rotwein trinken zu müssen. Am nächsten Tag kann ich mich nur noch an wenige Einzelheiten erinnern.