(Debe mara pa)
Wo anfangen und nicht über die Berge vor meinem Fenster schreiben? Über die Berge Österreichs? KuK-Berge als Alternative? Dramors Dichtungen zerfleddern leise auf dem Küchentisch. Es sind schon ein paar Flecken auf dem Cover zu sehen. Spuren der letzten Tage. Halbherzige Lektüreflecken. Undefinierbare Sossenreste sind einfach mit einem Fingernagel von einer Prägung zu kratzen. Die Texte geben nichts her. Ich könnte über Brasilien schreiben, dem Ort wo sie entstanden waren, nur in dieser Umgebung machten sie vielleicht Sinn, aber ich weiss nichts von Brasilien. Dem historischen Brasilien des 19. Jahrhunderts. Es interessiert mich auch nicht besonders. Nicht so sehr, dass ich mich ernsthaft damit auseinandersetzen wollte.
Roman hatte heute Morgen am Telefon über mein Vorhaben gelacht. Und woher solle er denn etwas über Brasilien wissen? Er würde es gerade mal noch auf einer Karte finden. Ob sie dort immer noch Menschen fräsen? Ich war verwundert, hakte nach, wie er denn darauf komme. Es sei ein Spass gewesen. Er wollte einen ethnologischen Klassiker zitieren. Hans Staden. Sechzehntes Jahrhundert, allerdings das sei noch immer nicht meine gesuchte Zeit.
Ich habe darauf die wahrhaftige Historie der wilden, nackten, grimmigen Menschenfresser-Leute Stadens nach einiger Mühe als Mikroficheausgabe in der Bibliothek gefunden und mir einige Passagen ausgedruckt. Das Frontispiz dieser alten Ausgabe mit dem bärtigen Gesicht Stadens: ich fühlte mich dort kurz an das Dranmor-Porträt erinnert. Nun liegen sie nebeneinander, schauen in gegensätzliche Richtungen. Frappierend ähnliche Haltungen und Blicke. Dranmor etwas feiner gezeichnet. Staden wesentlich unterhaltsamer.
Fünfundzwanzigstes Kapitel. Warum sie ihre Feinde essen.
Sie essen ihre Feinde nicht, weil sie Hunger haben, sondern aus Haß und großer Feindseligkeit, und wenn sie im Krieg miteinander kämpfen, so rufen sie sich haßerfüllt zu: Debe mara pa, xe remiu ram begue über dich komme alles Unglück, du bist mein Essen, meine Kost. Nde akanga juka aipota kuri ne ich will dir heute deinen Kopfe einschlagen. Xe anama poepika re xe aju um den Tod meiner Freunde an dir zu rächen bin ich hier. Nde roo, xe mokaen sera kuarasy ar eyma rire usw. noch ehe heute die Sonne untergeht, werde ich dein Fleisch gebraten haben. Das alles tun sie aus großer Feindschaft.
Schlimme Dinge, die Staden dort erlebte und zu notieren wusste. Die Trinkgelage. Das Einkochen der Gefangenen. Die minutiöse Beschreibung der Rasur der Augenbrauen des Mahles, des herausquellenden Gehirns nach Knüppelung, der Häutung der illustrative Holzschnitt der Indio-Frauen mit ihren Zeremonial-Keulen. Eine saftige, barocke Sprache. Es sind Bilder, die nur wenig durch die Übertragung einbüssten. Ich erschrecke über meine Begeisterung.
Ist dann die Haut abgemacht, so nimmt ihn ein Mann und schneidet ihm die Beine über dem Knie und die Arme am Leib ab, worauf die Frauen kommen, diese vier Teile nehmen und unter großem Freudengeschrei damit um die Hütte laufen. Daraufhin trennen sie den Rücken mit dem Hintern vom Vorderteil ab. Dieses teilen sie unter sich auf. Die Eingeweide aber behalten die Frauen, die sie kochen und aus der Brühe einen Brei, Mingáu genannt, herstellen. Den trinken sie und die Kinder. Sie essen die Eingeweide und auch das Fleisch vom Kopf; das Hirn, die Zunge und was sonst noch daran genießbar ist, bekommen die Kinder. Ist das alles geschehen, geht jeder wieder heim und nimmt seinen Anteil mit.
Ich kann mich kaum von diesem Text lösen. Das Fremde. Das Selbstverständliche. Das Verständliche vielleicht sogar. Das: die ewige Kette wahrer Vergeltung. Dranmor dagegen eine weinerliche Milchsuppe. Leicht verdauliche, reibungslose Naturlyrik. Ich tue ihm sicher Unrecht, aber, wenn ich ihn und seine Verse zum Gegenstand machen will, muss der Tod hinein.