(Sabina)
Der erste Satz, der mir entfährt, entfällt sofort, schon, als ich den Blick wieder abwende von der Schulter und auf den Parkweg richte. Kein Satz im üblichen Sinne, eine halbe Frage ohne Zeichen am Ende. Die Bemerkung, was eintrete ins Leben, wenn etwas austrete.
Etwas müsse diesen entstandenen Raum doch in Beschlag nehmen. Vielleicht sprach ich aber auch von einer Kelle, die sich in einen Topf siedendes Wasser taucht und daraus entnimmt und der Rest sich wieder gleichmässig verteilt, einebnet, eine bald starre Oberfläche bildet, als sei nichts gewesen.
Ich müsse nicht weiter sprechen. Nicht darüber, sie wisse, was ich meine. Sabina versucht das Gleichgewicht auf meiner Schulter zu halten. Ihre kleinen Krallen bohren sich in den Lederaufsatz der Jacke und mit den Flügeln balanciert sie den ungeläufigen Rhythmus meines Gangs aus. Flach atmend. Sie werde sich um mich kümmern, ein wenig, bis die Dinge wieder im Lot seien.
Ob sie denn niemand vermisse. Ob sie unser Verhältnis nicht selbst etwas merkwürdig finde, frage ich. Aber die Liebe sei doch das Verhältnisloseste, was es gäbe, ähnlich der Sprache, so sähe sie das: Darum verstünden wir uns doch so gut. Darum dürfe ich sie auch ruhig Freundin nennen. Das Getuschel, das natürlich folgen würde, sei ihr einerlei. Sie hoffe, mir ginge es ebenso.
Es ist, wie sie vermutet hatte. Die Tankstelle an der Seftigenstrasse öffnet tatsächlich auch an Sonntagen. Ein Display mit Flaschen Fahrzeugöl aller Marken und Grössen vor der Eingangstüre. Ein sehr rundlicher Mann mit Glatze kaut an einem Schokoladenriegel. Kanister? Dort unten in der hinteren Reihe. Wo denn mein Wagen liegengeblieben sei? Ich nehme zwei dieser Behälter und fülle sie an einer Zapfsäule mit bleifreiem Benzin. Bei der Frage nach Streichhölzern zuckt der dicke Mann etwas zusammen, entspannt sich aber wieder, als ich noch eine Packung Parisienne hinzuordere.
Dreissig Franken koste das zusammen. Ich krame, finde einen letzten grünen Schein in der Jackentasche. Sophie Taeuber-Arp, etwas zerknittert und gerastert, eine Art Melone tief in die Stirn geschoben, ihr fester Blick: Und vergiss die Briefe nicht, hörst du? Du musst vorher die Briefe finden und sie dort rausholen. Oder willst du von nun an im Freien schlafen?
Sabina ist etwas erschrocken und versucht mir am Hals in den Kragen zu steigen. Die Briefe, tönt es noch einmal, bevor der Schein in der Kasse verschwindet und ich mir das Rückgeld in Münzen ausbezahlen lasse. Eine Glocke spielt eine freundliche Melodie. Ich könne die Türe ruhig offen lassen. Viel Glück. Der dicke Mann wendet sich wieder seiner Schokolade zu.
Du weißt, wo sie sind? Ihre Frage. Ich ahne es, antworte ich. Im Blickschutz der belaubten Bäume nehmen wir Umwege durch das Quartier in Kauf, um nicht von neugierigen Augen entdeckt zu werden. Es ist wenig riskant, denn das Viertel liegt noch in einem komatösen Schlaf, nur aus der Ferne quengelt ein ungeduldiger Säugling, der bald gestillt ist. Die Kanister ziehen schwer an den Armen und Sabina feuert mich an. Ob das mit den Briefen ernst gemeint sei. Die seien doch überflüssig. Es sei ernst, sage ich und sie fragt nicht weiter. Bald treibt sie mich weiter an. Nur noch wenige Meter. Nein, eine Rast sei nicht angebracht, jetzt. Wir seien ja gleich da. Das hätten wir bald, und: Siehst du, man stehe ja schon im Garten.
Wir versuchen unsere Herzfrequenzen zu drosseln. Atmen langsam und tief. Der Vordereingang wie erwartet verschlossen. Das Gerüst, weiter verpackt wie ein Pausenbrot. Cellophanartig. Ein roter Wimpel weißt auf eine neue Dachrinne hin. Aufgehende Sonne spiegelt sich breit im glanzgewichsten Kupfer.
Das Gitterfenster. Der Fahrradraum. Die nun nützlichen Schneisen durch das Gestänge. Sabina fliegt ein paar Meter voraus und erkundschaftet das Gelände. Sehr günstig: Der Wasserpegel sei gesunken. Nahe Null. Ich taste mich an fast trockenen Kellerwänden entlang und stosse beim Überschreiten einer Schwelle gegen etwas weiches. Die Ratte: Pass doch auf! Und: ganz schlecht heute. Er hat nicht gut geschlafen und sei sehr angriffslustig. Und: er habe ordentlichen Appetit, den Kollegen habe es noch gestern Abend erwischt. Und: Ist das deine neue kleine Freundin? Das gehe ihn gar nichts an, und jetzt aus dem Weg. Ich trete die Ratte entschlossen zur Seite.
Zwei weitere Meter arbeiten wir uns vor, dann bremst uns ein ohrenbetäubendes Krachen. Die Holztüre des Nordraums bricht auf. Glühende Augen und tanzende Tentakeln suchen uns und schlängeln aus dem stinkenden Loch. Wir stören. Ein mattes Licht glänzt verholen aus einer fernen Ecke. Ich kann die Richtung der Briefbündel orten, vermute sie hinter dem Rücken der Bestie. Eine ungünstige Situation. Bewegungen. Langsame. Gleitende. Fauler Dunst trübt die Sichtverhältnisse und nähert sich uns. Die Masse röchelt, rückt weiter, zwängt ihr Zentrum durch den engen, nun ebenfalls berstenden Rahmen. Und: singt sanfte Töne. Lockt mit Lauten, die wie Worte klingen. Kann es sprechen? Ist das ein Kontakt?
Sabina flattert aufgeregt über meinem Kopf. Plan B, ruft sie. Plan B. Öffne die Kanister! Ein Inhalt ergiesst sich lautlos auf dem Boden und verteilt sich gluckernd im Gang. Mit dem anderen bespritze ich auf weiteres Drängen die Wände und Decke in seine vermutete Richtung. Es lässt sich nicht aufhalten und wird erst richtig böse, ja, wächst nun in erstaunlicher Geschwindigkeit. Verdoppelt und teilt sich, holt aus und will sich gegen uns werfen. Ich nehme wie geheissen die Streichholzschachtel aus meiner Jacke. Die Finger zittern ein wenig. Schwefel. Im aufflackernden Licht landet Sabina auf meiner Schulter. Schrillt: Jetzt aber raus.