(Kleine Theorie des Exzerpts)
Die Stille. Die Arbeit am Exzerpt. Eine methodische Frage quält mich. Das, was da von mir ausgeschnitten wurde und wird, was da von mir als wichtig oder irgendwie bedeutend wofür auch immer von mir erkannt und isoliert wird, was da möglicherweise von mir herausgelöst wird, vorsichtig, sicherlich, aber sich dann, nachdem es vorne und hinten, um nicht zu sagen oben und unten, gekappt wurde, auch aus einem ganz anderen Medium in dieses überführt wurde: War es das dann noch? Und: Wozu war es gut? Oder war es etwas, das ich schon mit meinen Schnitten gestempelt habe? Es würde sicherlich etwas anderes bedeuten, es wird ja von mir missbraucht werden, in etwas anderes eingebettet werden.
Ja, selbst, wenn es sich noch nicht in seiner neuen Heimat befinden würde, wenn es sich auf dem Weg, aus langem Schlaf gerissen und mit noch verklebten Augen, also herausgezerrt, fast nackt, durch den Kopf des Lesers, also mir, irgendwie in der Luft, dann durch Tastenschläge gegeiselt, auch wenn nichts darauf hindeutete, dass etwas in so einer langen Kette verloren ginge oder geändert würde, wenn es sich also daraus formiert, digitalisiert und nun nicht mehr auf halbsaurem, gelblichem Untergrund, sondern auf blütenweiss simulierter Leinwand, die nach der Auslöschung des Lichts mich spiegeln kann. Was ist dann passiert?
Ein Moment, einige Momente der Entauratisierung, der Transautorisation sind dann verstrichen, aber wo war der genaue Ort?
Dass all dies nur als Fussnote taugte, die doch nur das sagen und bestätigen oder widerlegen sollte, was nur beiläufig zu erwähnen war und irgendetwas erhärten sollte. Dabei, scheint es mir, wäre es unerheblich, wie lange das Gesagte, wie zerstückelt, wie – wieder miteinander verschachtelt und verkettet – das Erscheinungsbild des Entnommenen, hat es doch nur diesen einen Zweck, so meine Vermutung: Bei mir, hier ganz konkret im Moment des Verlusts der Sinnlichkeit, mich etwas zu stärken, auf Kosten besagten Missbrauchs, die ganze Text- und Verkettungsgeschichte: eine Missbrauchsgeschichte. Die Verkettung, an sich ein unbewusster Moment, ein Fall für die Fussnote. Letztendlich kann man hier schon die Not der Veranstaltung sehen. Also, wozu?
Aber dann doch das Gefühl etwas geleistet zu haben. Der Akt des Schnittes und der Herauslösung, ein heiliger Akt der Selbstversicherung, der Bedeutsamkeit des eigenen Tuns. Also setze ich meine Arbeit fort, denn ich will ja gesund bleiben, auch wenn ich nicht weiss, wohin das führen soll. Ich blende auch aus, was das eben Gedachte, wenn es konsequent zu Ende gedacht würde, für mich bedeutete. Ich wehre mich, ich merke, wie ich verlangsame, erfolgreich gegen Analogien. Dass ich selbst schon angesetzt hatte, an einer Geschichte, die Roman betrifft. Die sie und mich betraf. Dass Dranmor nicht Textobjekt, sondern Schere, nicht Gegenstand, sondern Instrument meiner Überlegungen sein könnte. Dass mein Verfahren Fussnotenbildung sein würde, zu einem Werk, das nicht existierte, zu einem weissen Blatt Papier, einer fast leeren Datei, einer Überschrift.
Mein Blasendruck ist nicht mehr zu ignorieren. Ich klappe meinen Laptop zu, will noch etwas aufräumen, wäge dann aber das Risiko ab und beeile mich, mich durch die Tischreihen zu schlängeln, vorbei an büffelnden Studenten, der Lesesaalaufsicht, die keine Notiz von mir nimmt, durch die Glastüre hindurch, stürze ich auf die Toilette. Entlastung. Ich bin eine Neun, was bist du?, steht da an der Wand zu meiner Rechten gekritzelt. Ich gehe die Zahlen eins bis zehn durch und kann mich nicht entscheiden, beende die Sitzung, die im Stehen abgehalten wurde und wasche meine Hände. Der Weg zurück zu meinem Platz hat sich in der Zwischenzeit halbiert. Ein paar Augenkontakte, gleichgültige Mienen. Oder böse? An meinem Platz scheint alles in Ordnung zu sein – die Maschine steht noch da. Man kann ja nicht misstrauisch genug sein, heutzutage, so eine Aussage in einem Bericht über Diebstähle in Bibliotheken, fällt mir ein. Aber hier, die Blätter und Kopien. Die Bücher. Wurden sie nicht berührt und verschoben? In Unordnung gebracht? Ich kann es nicht mehr rekonstruieren und beschliesse, es für heute gut sein zu lassen, packe zusammen, steige die Treppe hinauf ins Erdgeschoss und betrete das Freie. Dort, schräg gegenüber ist die Bar “Fly” schon geöffnet. Ich sollte etwas essen.