(Der Keller, das Dach, die Räume dazwischen)
Ob es denn wieder gehe, wird leise gefragt. Was es denn gewesen wäre. Nichts Schlimmes, hoffentlich. Jaja. Neinnein. Nichts besonderes. Naja. Ich solle erst einmal ankommen. Der Kollege sei ja im Urlaub. Das ganze Büro gehöre also mir alleine. Praktisch, nicht? Ganz langsam also. Hören Sie? Und: Nun, es sei ja ein bisschen viel geworden. Es sei etwas zusammen gekommen. Da habe sich etwas angehäuft. Und leider habe niemand aushelfen, einspringen, anpacken können, so der direkte Vorgesetzte. Ob denn niemand Maria gegossen habe? Sie sähe etwas mitgenommen aus. Um genau zu sein: tot.
Oh. Die habe man ja völlig vergessen; niemand habe daran gedacht, und der Büronachbar sei ja auch schon drei Wochen im Urlaub. Und: man glaube, niemand sei in der Zeit im Raum gewesen. Aber wo denn das Bild sei? Welches Bild denn? Na, Holstein-Gottorf, der gute Geist des Zimmers. Ach ja, den hätte man entfernen müssen. Der sei jetzt irgendwo. Wie ich sähe: die Holztäfelung an der Wand musste etwas erneuert werden. Ob ich mich darüber freute.
Ich freue mich nicht über diese Veränderung. Nicht jetzt und nicht die folgenden Stunden. So sehr, dass ich im Alleinsein das Dasein vergesse. Es wird ein kurzer erster Arbeitstag. Die Mails, die beantwortet werden, indem sie gelöscht werden. Die meisten. Ein paar sind nach der Triage übriggeblieben. Ihre Zeit wird noch kommen. Eine längere Nachricht von Roman. Ich überfliege sie, atme durch, leite sie an meine Privatadresse weiter.
Die Buchberge sind in eine erstaunliche Höhe gewachsen. Ich schichte sie um, ordne sie nach Belieben – ist die Menge nur gross genug, sind plötzlich alle Ordnungen möglich. Die Ordnung des Tages, nun: das Lustprinzip, wie man mir riet. Nach dieser Arbeit die baldige Erschöpfung. Sicher! Ich könne schon gehen. Nur nichts überstürzen, morgen sei auch noch ein Tag.
Schneematsch auf den Strasse und ihren Rändern. Feuchte Klumpen. Das Schmatzen der Schuhsohlen nach ihrem Abheben. Bündigkeit zwischen grauem Strassenbelag und den Schienen. Um aus der Strassenbahn auszusteigen, um das Trottoir zu erreichen, genügt ein kleinerer Sprung. Der Weg vor der Wohnungstüre wurde vor kurzem gestreut. Umsonst. Von wem?
Ich lebe nicht in einer Leere. Die Situation unter dem Dach ist nicht nachträglich mit bunter Farbe zu schminken. Die Dinge klingen hier einfach nicht mehr. Laut gelesene Wörter passen nicht mehr aneinander, ineinander. Das Echo fehlt, der Rückruf – jene Interferenz, die entsteht, wenn ich den Satz an die Wand, also gegen die Dachschräge schreie und nichts kommt zurück und nichts bricht sich in sich selbst und verzerrt das Gesprochene. Und macht es vermeintlich verständlich.
Die leise bewucherten Wände des Dachstuhls mit diesem Schwamm, die neue Verständlichkeit, zerstört diesen Ort, diesen Kopf des Hauses, das, nicht wie ich hoffte, aus Wörtern war, sondern aus Holz, das zu erodieren beginnt, an manchen Stellen feucht an anderen zerbrechlich, entflammbar oder möglicher Wirt eines Ekels. Hier entsteht, ich muss es realistisch sehen, kein Gedanke mehr, mit dem Blick auf den Daumen, da das Buch, die leeren Blätter und den kleinen Tisch mit den Kaffeerändern und verstreuter Asche darauf.
Der Tisch muss zuerst hinunter. Ist dort noch Platz? Ganz hinten vielleicht. Es muss erst noch untersucht werden, ob ich dort mit den Dingen hineinpasse. Es muss wahrscheinlich aufgeräumt werden im Keller. Der März ist feuchter als die anderen Monate. Es ist mit quietschendem Kies zu rechnen. Und mit verstaubtem Schotter zwischen Kisten und Kartons und ihrem Ausgeräumten, Zerwühlten, Zerstreuten. Und ob das Licht noch geht? Die kleine Glühbirne mit ihrem Webenvorhang und der brüchigen Kordel.
Der Abstieg ist unbeschwerlich. Die zweiundfünfzig Stufen: nur noch jede Zweite weiss ein Lied, einen Teil davon, singt und summt: ich war im Wald und ich eine Pflanzung. Die dunklen Stellen: glleichmässig dunkel. Dunkler als zuvor, aber nicht unangenehm dunkel. Anthrazit.
Der Schalter in einer zersprungenen Porzellanfassung. Fühlbar isoliert. Der Gang zum kleinen Kellerraum an den Drahteseln vorbei. Wem gehören sie? Es gibt wohl keine Besitzer mehr. Nur noch unsichtbare Eigentümer, die nichts mehr begreifen.
Der Raum am Ende des Ganges ist offen. Ich habe beim letzten Mal – wann war letztes Mal? – vergessen zu schliessen. Eine Holztüre aus verstrebten Latten. Sind die Dinge dadurch entkommen? Die Kisten und Kartons unberührbarer Erinnerung. Die flüchtigen Geständnisse, übrig geblieben, die letzten Jahre untrennbar mit ihren Verpackungen und diese mit ihnen verbunden. Zu Schotter geworden: Bücher, Schriften, Altkleider.
Wie vermutet hat sich eine eigene Ordnung eingestellt. Die Ordnung der Zeit, die alle Dinge an die Ränder drängt; und von dort wieder in die Mitte. Der Berg Allerlei und seine Schluchten und Falten, seine Hügel und Landschaften. Warum nicht unter dem Dach bleiben? – es würde vielleicht langsam angenehmer werden. Der Frühling unter dem Dach wäre sicher nicht zu verachten. Aber: die Lektüre stagniert, das Schreiben versandet, die Bilder: Schotterbildung.
Nein, hier ist der richtige Ort. Und hier ist auch ein Stuhl. Ich stelle ihn in die Mitte des Raums, nachdem der Allerleiberg seine Ecke bekam. Und vor diesen Stuhl passt der kleine Tisch und darüber baumelt die Lampe. Die Kordel gibt es auch noch. Sie zeigt einem Luftzug den Weg.
Ich setze mich. Es ist nicht die Erschöpfung, heute, es ist das Gegenteil, das Heim- und Ankommen, die Bahnfahrt, der Schneematsch und das Schmelzen der Dinge. Das Dachzimmer, in dem ich es mir eingerichtet hatte, es würde wärmer werden: und das sich nun anders belegte und indem nichts passieren würde. Der Tisch muss in den Keller. Das Buch und ein paar Seiten. Die Stifte.
Der kleine Umzug ist die Aus- und Einwanderung. Binnenexilierung. Sind sie neu hier? Ja, ich komme von oben und freiwillig. Nicht ganz freiwillig. Immer auf der Suche nach, aha, productiven und productionsfähigen Gegenden. Und: Eigenthümlichkeiten. Sie: Sklave einer Halluzination. Denken Sie wirklich, hier gehe es besser? Wie manche Existenz ist nach solchen Träumen im Elend untergegangen. Jaja, der saure Beigeschmack des Exils, ich warne Sie. Es ist wirklich nicht schön hier. Kein sternenklares Diadem. Kein Brasilien auf den ersten Blick. Lustlos platziere ich den Tisch vor dem Stuhl.