Dranmor VI,1d

(Kein Kampf)

Die Schwierigkeit die Türe zu öffnen. Mit nicht einmal einer freien Hand, mit dem Unterarm, dem Ellenbogen dann, der mit Mühe und Not sich in die Ecke und ihrer kleinen Klinke vortastet, diese erwischt und mit sanftem Druck bewegt.

Die Türe springt knarrend auf. Eingangsglocken läuten: Der dunkle Vorraum ist ein anderer. Will Rückraum sein. Stauraum, Lager, Batterie? Kartons versperren den Weg ins Innere, werden leicht verschoben, dahinter eine in Plastik eingeschweisste Palette, noch einmal gegurtet und verzurrt mit Bändern. Sie wird umgangen. An den Konsolen der Wand entlang. Dort die Computer noch im Tiefschlaf; die Theke – kein geselliger Ort, kein Ort, keine Dienstleistung da, kein Licht, kein Mucks in dieser Welt.

Es ist ja noch sehr früh und ich fühle mich als Eindringling, als unerwarteter Besucher, beschliesse wieder zu gehen, drehe mich nicht um, schlage mich rückwärts durch das Dickicht am Rand des genommenen Pfades, will die ins Schloss gefallene Türe wieder öffnen. Ja, hallo? und Wir öffnen erst am Mittag. Dann: Ach du bist es. und Was machst du denn hier? und Hatten wir nicht gesagt, dass und es sei der reine Zufall, dass man ihn hier anträfe, er würde ja sonst erst mittags da sein, aber es gab eine Warenlieferung schon früh heute morgen, er habe nur wenig Zeit. Ob ich denn nicht arbeitete? Aber, da ich denn nun einmal da sei, er mache uns Kaffee. Die Heizung habe Schwierigkeiten beim Anlaufen, ein Monteur käme heute auch noch, man müsse so lange mit dieser elektrischen vorlieb nehmen, es würde etwas dauern bis sich Wärme entfaltete.

Was ich denn da habe, in dieser Rolle? Ein Bild? Er habe noch nie von Holstein-Gottorf gehört, er könne die Bedeutung von Holstein-Gottorf gar nicht einschätzen. Er macht nicht den Eindruck, als würde ihn die Geschichte von Holstein-Gottorf interessieren. Von ihm und mir, uns beiden, und dass ich ihn vor Verbrennung oder Zerstückelung, Verrottung oder langsamer Verdauung gerettet hätte. Viel mehr, warum ich denn um diese Zeit durch die ergrauten Sandsteingassen der Unterstadt zöge.

Ich reiche ihm den Brief und er runzelt die Stirn, liest ihn langsam; Zeile für Zeile pendelt der Blick zwischen den Begrenzungen des Blatts. An manchen Stellen bewegt er dazu die Lippen. An Stellen, die er wohl für besonders gelungen oder wichtig hält, macht er ein Hmm. Einmal, glaube ich, unterdrückt er ein Lachen. Wiederholt er am Ende die vorletzte Zeile Mit freundlichen Grüssen.

Das sei mit Abstand das Lächerlichste, was er je gelesen habe. Eine Unverfrorenheit sei das, eine, nein, ihm fehlen die Worte, nein, so etwas habe er noch nie gelesen. Das sei doch anfechtbar. Und überhaupt nicht ernst zu nehmen. Jeder erstsemestrige Jurastudent würde einen astreinen Widerspruch dagegen zaubern können. Ich müsse schnell handeln, am besten sofort. Alles würde sicher mit Beschämen zurückgezogen werden.

Und die Anschuldigungen: die seien doch bestimmt frei erfunden. Er glaube nun wirklich nicht, dass ich solche Dinge gemacht habe. Oder auch nicht gemacht habe. Das entspräche ja gar nicht meiner Persönlichkeit. Auf solche Ideen käme doch niemand. Oder doch?

Ich winde mich um das Thema. Es habe mir dort schon lange nicht mehr gefallen. Auch die Leute da. Auch die Arbeit, die aber zugegebenermassen ein paar positive Nebenaspekte hatte. Und: dass sie mir meine Pflanze umgebracht hätten. Unterlassene Hilfeleistung nenne ich das. Und: mir den einzigen Vertrauten entrahmt, ihn ausgesondert, wie sie sagten. Roman lacht ein unechtes Lachen, will mich unterbrechen, kann sich aber nicht gegen die Kraft meines Wortschwalls durchsetzen.

Ich habe noch Ersparnisse, meine ich, und: Ich habe gespart. Und: dass ich wenig Geld ausgegeben hätte, in letzter Zeit – fast nichts, ich könne problemlos ein ganzes Jahr vor mich hinleben ohne nur einen Finger zu rühren, und das habe ich schon länger vor.

Roman entgegnet, ich würde den Anschluss verpassen, so etwas könne man doch nicht auf sich sitzen lassen. Man müsse doch auch mal Zähne zeigen. Ich, wenn ich denn noch in den Spiegel schaue, wolle mich doch wohl auch noch sehen können. Nein, ich müsse schon etwas kämpfen und – wie er es sähe – ständen meine Chancen gut, sehr gut sogar.

Er könne sich ja vorstellen, dass ich nicht mehr arbeiten wolle, dass ich dort nicht mehr sein wolle und offensichtlich wollten sie mich dort auch nicht mehr. Aber dann solle ich doch wenigstens versuchen, eine angemessene Abfindung zu erstreiten. Ich könne ja dann vielleicht zwei Jahre nichts tun, oder was auch immer ich dann täte.

Das sei vielleicht gar keine schlechte Idee, ich würde mir das überlegen. Ob er mir denn vielleicht dabei helfen könne, ich habe ja keine grossen Erfahrungen mit dieser Art Korrespondenz. Überhaupt: mit der Formulierung solcher Forderungen.

Das sei aber ganz schlecht jetzt. Ich sähe ja, er habe zu tun und müsse bis Mittag den Raum freigeschaufelt haben. Er müsse auch sofort damit anfangen. Ein andermal gerne. Vielleicht bald. Wir würden uns anrufen und darüber sprechen. Er werde sich das noch einmal überlegen.

Beim Hinausgehen. Ich müsse mir aber darüber im klaren sein, oder ob ich mir denn Gedanken darüber gemacht hätte: Wie ich denn nun an die Quellen käme, wenn mich Dranmor denn überhaupt noch interessierte, wenn ich noch das zu tun gedenke, was ich vorhatte.