Dranmor VI,1e

(Die Quellen)

An diesem Tag geht leichter Schnee in Regen über. Auch wird die Luft dichter, und in den unteren Räumen der Gebäude der Strasse, so schliesse ich aus dem Zustand des Kellers dieses Hauses, zieren Filme die Wand, die bei Lichteinfall zu spielen beginnen. Boden öffnet sich. Auch die wenig versiegelten Tritte des Gangs zu den Parzellen des Kellers, der offiziell Sous-Terrain genannt wird, der Klausen werden weich und Lehm vermischt sich beim Schlurfen mit kleinen Steinchen, bündelt sich zu Bällen, auch hier unter dem Tisch, an dem ich mit festen Schuhen scharre und zwei tiefe Furchen in den Untergrund ziehe.

Das Gitterfenster des Raums, die kleinen mit Wasser bespannten Löcher brechen salziges Licht. Licht, das durch den langsam schmelzenden Schneeberg vor dem Fenster muss, um sich irritiert im Raum zu verteilen. Das durch den Wetterwechsel und Resten von Kristallen, ihren Lösungen, seinen Weg an die Wand findet, die da lauert.

Hält das Lesen inne. Zu fern ist ein Kaiserreich und seine Symbole. Zu fremd die schwerfälligen Instrumente Krone, Zepter, Schleppe; Gegenstände, die diese Zeit in einen Film verwandeln. Einem Mantel- und Degenfilm mit nostalgischen Rufen nach einem Retter einer siechen Nation, in dem von Wahrheit, Freiheit, Ruhm und Glück gesprochen wird und ein Heldentod noch ein Tod und ein Zeichen bedeutete.

Das ist die Position des politischen Dranmor. Das ist, man möchte ihn nicht mehr als Dichter bezeichnen, man sucht seinen bürgerlichen Namen: Ferdinand Schmid. Oder Fernando, wie er im August 1867 in Rio de Janeiro vielleicht gezeichnet hatte. Schmids Kaiser Maximilian bezieht in seiner Trauer Position und diese muss gelesen werden, jenseits der Endreime. Als Gesellschaftselegie, als Requiem, kraftlos und peinlich in ihrer Form, schmalztriefend im Selbstmitleid. Die wächsernen Zeilen: Ich bin der letzte in der Dichter Reihen; / Mein schwaches Wort hat keinen Widerhall, – / Darf ich der Trauer, die sich überall / Zum Himmel wendet, meine Stimme leihen? /

Er verleiht. Aber nichts an Wissen über diese beweinte Zeit, weder Brasiliens, noch Österreichs, noch der Schweiz. Ein Trauerruf aus der Ferne stösst in ein politisches, vielleicht ein soziales Geflecht. Prallt aber an der Gegenwart ab. Was würde ein Historiker sagen? Ein Philologe schweigt und wendet sich ab.

Die Glühbirne pendelt leise in ihrem Zug und ergänzt, wo sie ergänzen kann, das fahle Licht, das kaum mehr Kraft besitzt, sich in den Raum zu zwängen. Holstein-Gottorf rollt sich ein. Senkt Kopf und Körper in den selbstgeworfenen Schatten, ist pikiert, verletzt, dass er den Schwamm verdecken soll. Und neigt sich vielleicht auch im Respekt vor dem toten Staatsmann, von dem er eben zum ersten Mal gehört hatte. Die Stecknadeln können ihn nicht weiter halten und er schlägt mit seiner Stirn, sich zu Füssen an die bröckelnde Wand.

Sein Rücken, der Rücken der ihn tragenden Leinwand ist pechschwarz. Ein paar helle Krusten, Linien, heben sich von ihr ab. Kurz der Gedanke, ob Holstein-Gottorf nicht vollends umgedreht werden müsste: Er müsste sein eigenes Leid nicht mehr sehen, meines nicht und das der Wände, und: die Rückseite seiner Fürstlichkeit gäbe ein interessanteres Bild. Ein modernes, ein abstraktes, ein Pollocksches Gesprengsel.

Der Angriff ist nicht mehr zu unterschätzen. Des Pilz breitet sich nun wirklich aus und kennt keine Schonung. Fast täglich ist ein bedeutender Raumgewinn zu verzeichnen. Der Pilz ist dieser böse, dunkle, atmende Schwamm, der allem Leben die Luft nimmt: und damit auch die Möglichkeit Kaiser Maximilian zu verstehen, wie die Trauer, die sein Tod erzeugt.

Die Schmidsche Trauer ist nicht mehr verstehbar, kaum mehr lesbar, denn aus ihren Quellen. Ich habe mir die Luftzufuhr abgeschnitten. Roman hatte recht. Es ist nun nicht mehr möglich mich mit Material aus der Bibliothek zu versorgen. Der noch nicht gelieferte Aufsatz, der sich mit Schmids Verhältnissen zum Kaiserreich beschäftigte, beispielsweise. Überhaupt scheint der politische Dranmor versperrt. Die Kolonialberichte, sein Engagement für die Neusiedler und Einheimischen … Das Gefundene sind Präsenzexemplare, Rara in den idealklimatisierten Untergeschossen des Hauses. Eine Einsicht wohl kaum mehr möglich.

Es wird ein grosses Problem geben, diese zu beschaffen. Ob sich jemand vorschieben liesse? Roman hatte recht, als er sagte, man solle sich solange nicht von einer Quelle entfernen, bis eine andere in Sicht sei.

Holstein-Gottorf fällt mit einem leisen Krachen zu Boden. Das volle Ausmass der Wucherungen der Fläche, die von ihm verdeckt wurde, wird sichtbar. Schlimm. Der Stein: schwarz, porös und löchrig. An einer Stelle vollständig durchschimmelt, man kann durch ein kleines Loch, schliesst man ein Auge, in die Nachbarparzelle sehen. Kein guter Ort. Er sollte evakuiert werden. Auch Holstein-Gottorfs angegriffener Rücken spricht für die Feindlichkeit des halbfluiden Gewebes. Alles muss wieder hinauf in die Wohnung, es wird zu gefährlich hier. Ich nehme den Fürsten und den Stuhl beim ersten, den Tisch und einen Koffer beim zweiten, drei kleine Stapel Schriften beim dritten Gang, bin dann schwer erschöpft, atme flach und schliesse den Kellerraum sorgsam ab. Die noch darin befindlichen Dinge müssen auch bald abgeholt werden.