Dranmor VII,4a

(Barceloneta)

Wie überall auf der Welt waren es: Die Monumente der Stadt, umspielt und umlagert von Darstellern dieser Welt, bedrängt und durchschoben von Touristen dieser Welt. Die Kathedrale, Zitterspieler, Harfengeklimper am Morgen, der Vorplatz frisch geduscht. Kein guter Stern im Café La bona estrella, nicht einmal hier hat ein Kellner gut geschlafen.

Ich werde wie ein Verblödeter, wie ein Begriffsstutziger behandelt, erst ignoriert, dann angefahren, weil meine Bestellung wohl nicht angenehm in den Ohren des Verschlafenen klingt. Das Frühstück ist gut – sicherlich nicht seine Leistung. Am Nachbartisch wird eine Dame angepflaumt, nein, es lag wohl wirklich nicht an mir, hier hatte man einen Misanthropen zum Touristenkellner, einen Bock zum Gärtner gemacht. Eigentlich wiederum verständlich, fast schon sympathisch, beginne ich den Mann zu verstehen, und vielleicht wäre mir ein Lächeln an mir aufgefallen, hätte ich mich in diesem Moment beobachten können. Ich beschliesse, mir noch einmal Gedanken über den „sanften Tourismus“ zu machen, aber nicht jetzt, später vielleicht, also notiere ich in mein Heft. Ich versuche mir einen Namen für ihn einfallen zu lassen. Mein Heft – voller Begriffe, die ich einmal überdenken möchte, voller fiktiver Namen, die mich an reale Personen erinnern sollen. Ich taufe ihn schliesslich „Il delicado“ – vielleicht heisst das „der Sanfte“, so einen Eintrag finde ich in meinem Kleinwörterbuch, sicherlich ist der Artikel oder die Flektion oder beides falsch, egal, es würde sowieso niemand zu lesen bekommen.

Ein winziger Mann mit übertrieben grossem Sombrero und Gitarre baut sich vor mir, jenseits der kleinen Blumenrabatte auf. Es kommt zu einigen Anschlägen Besame Mucho, dann wird er von Il delicado vertrieben – noch bevor ich ihm eine Bitte um eine Spende abschlagen kann.

Barceloneta. Wie bin ich hierher geraten? Durch das Gotische Viertel gestolpert, durch die engen Gassen, von denen eine wie die andere ausschaute, verschlafen, idyllisch, muffig, zugeschissen und verpinkelt, wartend auf einen Schauer, einen kurzen Regen, der sie wieder atmen lassen konnte. Dann am Hafen angekommen. Vorbei an der Schlange des Bus turistic, der Rundfahrtengesellschaften, dem Trubel und dem Kauderwelsch der Sprachen und Gerüche, letztendlich hier gelandet: Im Innern. Arbeiterviertel. Joints am frühen Mittag. Fischsosse auf der Strasse in Rinnen. Ein paar Kinder kreischen. Ihre Eltern trinken Bier und teilen sich eine Spritze. Die Oberfläche dagegen, der Mantel der Landzunge, ruppige Haut, bunte Schilder die Speiseeis bewerben, Menschenverdichtung, Bewegung, Fischrestaurants. Strand.

Ein Liegestuhl – die Stunde zwei Euro. Einer liegt auf einer Bank, unter drei Palmen, ungestraft, und denkt sich nichts.

Einer raucht Zigarre, die einem anderen ins Gesicht zieht – der verlässt den Ort über den Sand. Gebremste Schritte, Einsinken, Anhalten, Versinken, Ausatmen. Ein Steinfeld, grosse Steine, erratisches Gebirge, nussschalengross, entlaubt, für erwachsene Kinder. Die Einbuchtung der Barceloneta erscheint jetzt aus der Ostperspektive. Die Menschen, von hier aus – Würmchen, horizontale Würmer kriechen den Rand des Hafenbeckens. Unendliche Meerreflexionen. Nichts in Zusammenhang mit dem Meer, was dort noch nicht gedacht wurde. Was erzählt wurde, die Wellen, das Rauschen, kantige, kluftige Riffe. Nichts. Und immer verschwiegen: Der Uringeruch zwischen den Steinen, auf denen alle sitzen wollen. Denn auch hier waren Menschen. Plastiktüten, Zigarettenschachteln, verbrannte Dinge. Etwas Kot.

Dort drüben kann man eine Katze beobachten. Sie lässt ein paar Sekunden vom Mausen ab und starrt herüber. Sie wundert sich nicht, warum der Himmel heute so zerkratzt ist und ein Skelett aus der geahnten Stadtmitte herausragt – mit vielen Fenstern. Ich strecke die Beine aus, strecke und dehne meinen müden Körper, ziehe mein T-Shirt aus, lege mich darauf und starre in die Sonne.

Die strenge Sonne verbrennt etwas in mir. Ein Auge, ein Teil meines Auges, Iris?, Linse?, krümmt sich, denke ich und es verschliesst sich ruckartig mit dem anderen. Da war sie wieder: Die Signatur. Jenes Zeichen, das ich nur bei geschlossenem Augenpaar und auch nur manchmal erkennen kann. Wie ein Kratzer, eine Unreinheit auf einer Fensterscheibe bei schräg einfallendem Licht, der, wenn er genau fixiert wird, sich verschiebt, nach rechts oder links, und dann verschwindet. Vielleicht ein kleiner Fehler, ein Irisdefekt, von Kindheit an, ich kann es nicht mehr genau bestimmen. Aber ein Zeichen, einer Arabeske ähnelnd, surenartig, ein Zeichen, das vielleicht etwas bedeutete. Ich öffne wieder meine Augen, suche, krame in meiner Tasche nach dem Heft, einem Stift. Finde es und versuche es aufzuzeichnen. Das Ergebnis entspricht nicht dem von mir Gesehenen.

Mein Telefon klingelt. Es ist Fernando. Er müsse noch arbeiten, aber man könne sich heute abend treffen und etwas essen gehen. So um Neun, ob mir das recht sei. Er kenne ein nettes Restaurant, das Ra, gleich an einem Platz neben der Boqueria. Ob ich wüsste was und wo das sei. Ich willige ein und entgegne, ich würde es schon herausbekommen.