Dranmor VIII,1a

(Pirsch)

Der Mensch sei ein Herbststück Gottes. Wer sagte das? Spricht da wer? Und April der grausamste Monat, der allerhand gebiert. Ein anderer. Und die Befürchtungen: Entartet ist die junge Brut, wieder ein anderer. Erste Strophe: Januario Garcia. Der erste des Jahres, der aber nicht gemeint war. In frühen Morgenstunden war sein Sohn schon zum Pirschen ausgegangen. Eine weitere Notiz auf der nun ellenlangen Liste noch zu tätigender Recherchen. Wer, Januario Garcia? Eine epische Vorgeburt Kaiser Maximilians? Wer sein Sohn? Vielleicht bin ich es ja, der nun seine Turnschuhe schnürt, das letzte Paar Schuhe, das den Namen verdient. Die Suche nach Scheinen in der kleinen Dose. Die Sucht. Drei Scheine, nur noch. Ein Blauer, ein Grüner, ein Gelber. Zahlen. Unbekannte Frauen und Männer. Der Gelbe hebt seine Brille an. Um mich schärfer zu stellen? Aber sonst fett und stoisch und es scheint, sie seien mit ihrem Dasein zufrieden. Oder nicht?

So eingedost, wo alles schiesst und spriesst und auf die Strasse will. Das gegenüberliegende Haus macht Anstrengungen den Garten zu bearbeiten. Eine Putzkolonne wälzt sich durch die Strassen des Botschaftsviertels, also ist es Montag oder Dienstag oder Mittwoch. Oder. Wird dort nicht täglich gereinigt?

Die Welt putzt sich. Auch der angesteuerte Nadelpark will nicht mehr nur nadeln, wirft alten Ballast ab und tauscht ihn ein gegen Lilienhecken und anderem bunten Grün.

Wo sind die Nadelparkbewohner? Hatte die Verwaltung in der Zwischenzeit ernst gemacht und sie disloziert. Kein Dünner da, dem zu vertrauen wäre, kein x-beliebig anderer, dem willkürlich die Noten ausgehändigt werden könnten, und der dafür sorgte, dass meine rasenden Kopfschmerzen, so nenne ich das jetzt, nachliessen.

Und doch wird mir heiter und ich scherze mit mir und der Dame und den Herren auf Papier, und baue kurze Beziehungen auf. Zähle sie ab und singe dazu: Du. Dich tausch ich nun ein gegen einen leckeren Appenzeller. Dann lache ich. Bitterster Jägermeister der Schweiz, der eigentlich nur gefroren getrunken gehörte, damit sein Geschmack sich nicht entfalte.

Die Frau an der Theke des Feinkostladens beobachtet mich. Findet sie meine vibrierenden Hände seltsam? Die in den Hosentaschen stochern und nach zu tauschenden Damen und Herren suchen? Ob das alles sei, verstehe ich, und sie meint sicher, ob ich überhaupt bezahlen könne. Oder ob ich nicht vielleicht doch ein Stückchen Brot dazu … Ich finde Sophie Taeuber-Arp und lege sie auf das gestockte Fliessband. Nehme sie noch einmal zurück und entdecke noch ein kleines Bildchen am Rande der Note. Eine lächelnde Frau vor zweidrei Bildern, zu ihrer Rechten ein Tintenfass, so wie es ausschaut.

Ich bekomme Rückgeld und eine Plastiktasche, in die ich alles hineinwerfe. Verabschiede mich höflich.

Gibt es Lilien in Brasilien? Diese Frage beschäftigt mich seit ein paar unruhigen Metern und dem ersten Schluck von dem braunen Gesöff. War hier nicht irgendwo die Brasilianische Botschaft, die zu befragen wäre, in dieser Sache. In dieser hochsicheren Strasse ist aber keine ehrliche Antwort zu erwarten. Und: ob denn der Urwald nie gefegt werde? Dann wieder: Gibt es Lilien in Brasilien? Was für eine Hookline. Daraus müsste man doch einen Song machen, aus dieser starken Frage. Ob es ihn schon gäbe? Ganz sicher hatte sich schon irgendwer damit beschäftigt: mit der Anpflanzung von Lilien in den Tropen. Oder Subtropen? Und dazu ein paar Töne geträllert.

Ein paar Meter nach einem Securitaspärchen dreht sich mir der Magen um. Doch zu früh für den Appenzeller, der eigentlich nur mit einem halben Kilo Käse zu verdauen ist. Und zu warm. Ich kann noch die Hand vor den sich aufreissenden Mund werfen, aber der Strahl spritzt durch die gespreizten Finger. Ein nur dünner Strahl. Ich biege um die Ecke und entleere mich gründlich in einen Mülleimer. Danke, steht in gelber Schrift darauf.

Welche Jahreszeit denn nun in Brasilien herrschte. Die nächste zu beantwortende Frage. Die in der Zoohandlung müssten es wissen. Dort zanken sich Papageien in der Auslage. Glöckchen beim Eintritt und beim Schliessen der Türe. Sind denn alle Türen dieser Stadt mit Glocken ausgerüstet? Ich lache bei der Frage, ob man mir helfen könne. Ich hätte da eine Frage. Wo ist sie nur? Eben war sie noch da. Egal, ich frage etwas anderes. Ob ich hier einen Sabia bekäme. Haben sie nicht. Nein. Oder wenigstens eine Nachtigall? Die sänge ähnlich, wie ich wisse. Sie mache: Quio tr rrrrrrr itz. Und manchmal auch Lü lü lü lü ly ly ly ly li, li, li, li. Das nenne man Schlag und sie haben auch keine Nachtigall. Was für ein seltsamer Laden. Ob es mir nicht gut gehe? Und: Nein, sie könnten auch keine Nachtigall bestellen, ich sei hier in keiner Buchhandlung.

Und ob ich nicht lieber gehen möchte? Ich wolle aber einen Vogel, lauter, und zwar diesen oder diesen, und deute auf die Papageien.

Man zweifle daran, dass ich der Lage sei, diese artgerecht zu halten und verweise auf die Hausordnung und diverse anderen Ordnungen. Schon etwas unsicherer, der Ladenhüter, der wohl doch einlenken möchte und mir ein Buch über Papageienpflege empfiehlt, ob ich mich nicht erst einmal einlesen wolle?

Ich gebe nach und kaufe das Buch, und sicherheitshalber auch noch einen kleinen Vogelkäfig. Ja, Hausvögel fliegen einem manchmal zu, das kann auch der Händler bestätigen. Man kann gar nicht genug vorbereitet sein. Ich suche nach einer weiteren Note. Rascheln. Es sei schon gut so, danke. Den gelben Corbusier noch, das passe auch farblich. Gut so, danke. Nein, ich brauche keine Tasche. Das Buch und die Plastiktasche mit der Flasche passen hervorragend in den Käfig. Kopfschütteln. Ich verabschiede mich und die Glocken übertönen etwas von ihm Hingerauntes. Beim Schliessen.

Auf der Strasse fällt mir wieder die Frage ein. War man in Brasilien nicht ein halbes Jahr mit den Jahreszeiten hinterher? Oder Voraus? Dann müsse jetzt Herbst sein. Dann war dies ein sinnloser Kauf, denn im Herbst flögen keine Vögel mehr zu. Die Klugen nehmen im Frühling reissaus. Dann, wenn es am grausamsten ist. Ein Wagen der Strassenreinigung macht keine Anstalten am Zebrastreifen zu halten. Mir wird die Vorfahrt genommen.