Keine Rezension, (keine Zeit), kein Dafür- oder Dagegenhalten, sondern eine kurze Umkreisung. Eine Art Kommentar (wie ich ihn hier versprochen hatte). Vielleicht nicht einmal ein Kommentar. Nur ein paar Notizen, aus denen vielleicht so etwas wie eine Rezension werden könnte.
KEINE SPOILER
1. Domodossola ist vielleicht der Ort, an dem man umkehrt undoder hängen bleibt. Hängen bleibt in Gedanken und umkehrt im wahrsten Sinne des Wortes.
2. Wir haben einen Erzähler. Einen Selbstgesprächler. Der Erzähler bist DU, denn es passiert DIR im Augenblick des Lesens. Wir haben einen inneren Monolog in zweiter Person, Singular. Wir haben einen DU-Erzähler. Wir sind uns ausgeliefert.
3. Warum in Domodossola? Ein Triebwerkschaden? Nein, ein Streik des Bahnpersonals. (…) Beobachtungsreihen zur Feldstärke, meist in Magnetogrammen festgehalten, unterscheiden sich nach dem jeweiligen Zweck der Untersuchung und berücksichtigen gemeinhin vier Vektoren. Fassbar ist die Deklination, also die Missweisung der Kompassnadel, weiter die Horizontal-, die Vertikal und die Totalintensität. Ergänzend muss erwähnt werden, dass die meisten Geodäten die Einheit der magnetischen Feldstärke, weiterhin Gauß nennen, obwohl sie seit 1930 mit Oersted bezeichnet wird. Die Wissenschaftler sträuben sich gegen diese Umbenennung, damit der Name von Gauß, dem der Erdmagnetismus so viel verdankt, nicht in Vergessenheit gerät. Aufgrund der Messdaten werden magnetisch ruhige und magnetisch gestörte Tage erfasst.
Folgst der Bahnschneise, schlenderst den ganzen Weg zurück, bis du wieder dort bist, wo du nie hast sein wollen, in Domodossola am Bahnhof. Als müsstest du dich deiner Sache versichern, gehst du erneut an einem Schwall koffeinhaltiger Buffetluft vorbei zu den Bahnsteigen. (…) S.93/94
4. Solche hineingeschalteten, technischen Versatzstücke gibt es. Wir wissen nicht, warum der Erzähler (der wir sind), erstaunliche Kenntnisse auf dem Feld des Elektromagnetismus, des Erdmagnetismus hat. Das ist aber auch nicht wichtig, denn es geht nur um die Möglichkeit einer Analogie.
5. Und: Obiges scheint wohl etwas kryptisch. Kryptischer als der eigentliche Text. Für Freundinnen und Freunde eines Plots, liefere ich hier den Versuch einer Zusammenfassung in wenigen Sätzen:
Ein junger Mann (Du) strandet auf der Zugfahrt (Basel – Rom) zu seiner Liebsten, die nichts von seiner Reise weiss, in dem Städtchen D. Eine allmähliche Rekonstruktion des noch jungen (Pendel-)Beziehungsereignisses, eine Introspektion der Gefühle zu dieser italienischen Bäckerin findet statt. Mehr möchte und muss man nicht verraten, denn es ist, viel mehr noch als Luchs (so viel mir bekannt ist) ein Roman, der eigentlich ein sprachlich-assoziatives Umherdenken ist. Der ein Denken darstellen soll, das in ein anomales geomagnetisches Feld geraten ist. Ein hin- und hergerissenes Denken im aussergewöhnlichen Zustand des (Noch-)Verliebtseins, des Zweifelns, der unsichtbaren Anziehungskräfte und der Abschiede und Ankünfte auf Bahnhöfen. Vor einem blitztraurigen Ende.
6. Eine Bewertung? Ich habe Mannharts ersten Roman Luchs immer noch nicht gelesen und ziehe deshalb keine Vergleiche. Ich ziehe überhaupt keine Vergleiche. Aber, ich habe das Buch zu Ende gelesen und das ist für eine Novität ein gutes Zeichen. Ein gutes Zeichen ist es auch, dass ich einige Male lachen musste und mir Notizen machte, mir gute Zeichen und Wendungen aufgeschrieben habe (allerdings gibt es auch ein paar überflüssige Manierismen), die ich ihnen hier aber vorenthalte.