ins gespaltene Schreiben. (GuU07)

Nachmittags einsam, müde, melancholisch, leicht depressiv. Ein Ich läßt sich gehen, sehr angenehm. Bewölkt, diesig, beinahe trüb. Es ist kühl, als käme der Herbst. Holgers Kassette auf der Terrasse gelauscht (ein Zettel im Cover: “Im Flugzeug einlegen und weitere Anweisungen abwarten. Natürlich nie befolgen. Gut zuhören. H.“)

Ich friere, ich falle, ein Tagtraum beginnt:

Anne ruft mich an und wünscht sich, daß ich sofort zurück nach Aachen komme. Sie ziehe in zwei Wochen nach Oregon auf eine Farm und werde heiraten …

“Bist du verrückt?”

Nein, ihr sei es ernst. Sie habe sich schrecklich verliebt und könne nicht anders.

“Dummer Scherz!”

Nein, es sei wahr. Ich solle bitte kommen. Sie wolle mich noch einmal sehen.

“Wer ist der Kerl, der dir das Hirn gefressen hat?”

“Paul.”

“Und was hat der Paul, daß du plötzlich Hühner züchten möchtest?”

“Paul Auster …” Ich lache sie aus.

“Lach nur – aber bitte komm!”

“Wo hast du Paul Auster denn kennengelernt?”

“Nach einer Lesung in Aachen … – ist doch egal! Komm!”

“Einen Scheißdreck werde ich tun, Frau Stabler!” (nun wütend)

“Bitte. Vielleicht sehen wir uns …”

“Hör zu! Ich werde nicht kommen. Pack mein Zeug in Kartons und stell es in den Keller. Ich werde es mir dort abholen. Viel Glück in Oregon mit Paul Auster. Wir werden uns bestimmt wiedersehen …”

“Nein! Bitte komm! Das mit der Wohnung ist nicht das Problem! Er zahlt sie weiter.”

“Mensch! Paul Auster ist aber reich!”

“Hör auf! Ich will dich wirklich noch einmal sehen …”

“Verdammt, dann flieg nach Griechenland!”

(„Bitte!“ – “Nein!” – “Bitte!” – “Nein!“). Als ich den Sprung in der Platte bemerke, sehr spät, Abbruch.

Als gelänge der Traum an einen Horizont, als gerate sein Erzählen ins Stocken. Der Traum weitet sich, das Erzählen wird dünn und dünner, entläßt einen langsam aus seinem Bann. Man hört sich reden, man sieht sich gestikulieren (im Garten auf und ab gehen wie in einem zu kleinen Zimmer). Aus der Figur schlüpft der Schauspieler, der seinen Text vergessen hat. Der unsichtbare, anonyme Souffleur wurde langsam leiser, flüsterte nicht mehr, verstummte.  Man kehrt zurück, findet sich wieder auf einer leeren Bühne, als Zuschauer seiner selbst.

Und dann erinnert man die Tagträume plötzlich wieder als Figur desselben – nur ein kurzes, letztes kostbares Moment vor dem Fall in ein anderes, ins auch äußerliche:  ins gespaltene Schreiben.

Aus “Gestell und Ungestalt. Fassung erster Hand” von Rainer Hoffmann. Gestell und Ungestalt erscheint im September 09 bei etkbooks.