IVa Ichschrift und Differenz

Welche Funktion hat für Dich das OCR-Verfahren, dem Du die Texte unterziehst? Gibt es Assoziationen zwischen dieser letzten Stufe oder vierten Dimension, wie Du es in Kapitel II nennst, und der Handschriftlichkeit, die über eine „Misslektüre“ hinausgehen? Beziehungsweise was bezweckst Du mit der Provokation und Darstellung von Misslektüre? (sja)

Ein anderer, ein historisch fast schon gegenläufiger Ansatz drängt sich in diesem Spiel (mit) der Schrift, tollkühnen Titulierungen und Rekapitulationen beinahe zwangsläufig auf und kann Schriftverlust (mit Schrift sei hier und im übrigen bzw. wenn nicht anders angezeigt, immer Handschriftlichkeit gemeint) weiter prononcieren und, je nach Perspektive / Position begut- oder schlechtachten.

Der oben auch als „Misslektüre“ bezeichnete Einsatz maschineller Intelligibilität kann und soll hier auch positiv formuliert und begründet werden.

Vielleicht ist man also besser mit Begriffen aus dem Spektrum der Para- oder Konlektüre bedient, da diese bei der Begutachtung der Zeichen, ihrer oftmaligen Stummheit oder auch Nichtlesbarkeit (hinten dargestellt bspw. mit „[…]“) ein Spiel mit Differenzen (8), sowohl beim Aufeinandertreffen von Text und Paratext, als auch im Transkriptionspart auslöst, und das – nun auch – sinnliche Aufklaffen und Auseinanderfächern löchriger Bedeutungsstellen begünstigt und ausstellt.

Anders formuliert: Das OCR-Verfahren bietet weiterhin die Möglichkeit intelligibel überführten Text wieder mit Spuren, Annotationen oder Konnotationen etc. anzureichern, die im Prozess temporierter Lektüre verlorengegangen sind.

Der so einerseits wieder rückgebundene (retemporisierte) Schrifttext, andererseits räumlich und qualitativ erweiterte Ursprungstext (jeder Ichschrifteinheit) ist also aus dekonstruktivistischer Sicht nichts weniger als ein Versuch, auch ästhetischen Sinnverlust zu begründen und zu kompensieren. Und dies: auch jenseits eines angenommenen (Text-)Subjekts oder Ichs.

Auch aus logozentrismuskritischer Perspektive wäre also eine immer umfangreichere Aufhebung von Handschriftlichkeit im Rahmen fortschreitender Medienumbrüche zu beklagen.

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(8) Im Falle der Berücksichtigung von Schriftästhetik muss daher von einer dreifachen Differenz (räumlich, zeitlich, ästhet.) ausgegangen werden, und dass sich die Bedeutungsbeziehung von Zeichen und Sache, im Zeichenfalle verdoppelt, weil sich zwischen Text (Schrift) und Objekt (Bedeutetes), so meine Erfahrung, automatisch das somit zwittrige Textobjekt „Typotext“ schiebt.