Ein Credo der notula nova (und zur Poetologie dieses Blogs).
(…) “…Ich habe mich entschieden”, schreibt Ponge in einer Vorbemerkung zur Buchausgabe der “Wort-Feige”, und zwar “für diesmal, ohne den geringsten Rückhalt, die ganze große Anzahl der Blätter vorzulegen, die ich habe vollschmieren müssen, um fertigzustellen (will sagen: um wirksam zu machen) ja, was denn? Was für eine Art von Werk?” Und ironisch fügt er bei, es handle sich um einen “edizierten”, einen von ihm “befohlenen” Text, der ausschließlich seinem privaten Spaß zu dienen habe …
Doch auch dieser private Spaß (wenn es denn ein solcher ohne Anführungsstriche gewesen sein sollte) gewinnt bei Ponge den Charakter eines “edizierten”, eines selbst-„befohlenen“ Vergnügens, das einerseits darin besteht, grundsätzlich jedes zur Schrift gewordene Wort und sei es auch noch so “banal”, noch so derb, noch so “falsch” für literaturfähig zu erklären, es in den Rang einer sakrosankten “Gravur” zu erheben; andererseits darin, der überkommenen Gattungstheorie wie auch der literarischen Rhetorik und Stilistik den Abschied zu geben zugunsten eines im eigentlichen Wortsinn poetischen, nämlich selbsttätig schöpferischen, also permanent im Entstehen begriffenen Diskurses, der sich anders als die nach vorgegebenen Regeln instrumentierte “schöne Literatur” dem zuwendet, was nicht der Rede wert ist, wobei der scriptor lediglich die Aufgabe zu übernehmen hat, die Ungeschicklichkeiten und Verzerrungen der eigendynamischen Sprachbewegung durch willentliche “Imperfektionen, überflüssigen Flaum, Warzen, Mängel, Asche” zu verstärken.
Vom Spaß an derartiger “Imperfektion” sind auch die “Schreibpraktiken”, Ponges bislang letztes Werk, geprägt; es handelt sich dabei um eine Sammlung höchst disparater Texte, die vor der Drucklegung offensichtlich weder redigiert noch geordnet, sondern in dem unabgeschlossenen Zustand und in der zufälligen Reihenfolge veröffentlicht worden sind, wie der Verleger sie vom Autor übernommen hat. Ponge selbst charakterisiert diese Texte in einer knapp gefaßten Vorbemerkung zu seinem Buch als “Skizzen, Entwürfe oder Konzepte”, betont jedoch, daß sie, trotz ihrer formalen Unvollkommenheit, “Fragen zum Gegenstand” haben, die ihn “seit jeher und für immer in quasi obsessioneller Weise beschäftigen”, und daß sie wohl gerade wegen ihrer Unvollkommenheit geeignet seien, eine “neue literarische Gattung” zu begründen. (…)
Aus dem Nachwort von Felix Philipp Ingold zu Francis Ponge, Schreibpraktiken oder Die stetige Unfertigkeit (1988).