Paare am Morgen III

Nachtkletten. Jochen und Maria liessen sich nicht abschütteln. Eigene Schuld – unser Angebot des Schlummertrunks, noch mit hinaufzukommen und nicht mit deren Mitkommen zu rechnen, um vier in der Früh.

Jochen wollte uns einiges weismachen, aber wir hatten unangenehme Fragen gestellt und Maria musste dann kleinlaut Stück für Stück eine andere Wahrheit zugeben. Was konnte man ihnen jetzt noch glauben?

Du hast einige böse Bemerkungen gemacht über sie, wenn sie es nicht hören konnten.

Schon früh, als die beiden sich auf der Party ins Gespräch mischten. Dort hatte man in der Küche zusammen aus dem Fenster geraucht, Bier getrunken und kulturelle Missverständnisse gefördert, während andere im Wohnzimmer im Kreis sassen, Häppchen assen, am Rotwein nippend über uns mutmassten – dachten wir, und es war uns nicht unrecht. So wälzte sich der Strom, gleichförmig, bis zum Ende, bis um drei plötzlich alles sehr schnell ging: der Abbruch, die Aufräumarbeiten der Gastgeber. Wir wurden hinausgeputzt, hinausgespült, suchten dann gegen den Willen Jochens ein Taxi. Wir konnten seinen Widerstand brechen, indem wir versprachen, das Taxi zu bezahlen. Sie mussten in unsere Richtung.

Schwer zu erinnern. Dort sassen sie lange Zeit auf unserem Sofa, und Jochen ass die alten Pommes Frites, die noch in einer Plastikschüssel auf dem Tisch standen und öffnete eine Packung Pralinen, die er von der Party hatte mitgehen lassen, vermengte sie mit dem Restsalz in der Schüssel, das gute Konfekt, und warf auch noch Lebkuchenreste und Zigaretten hinein in die Schüssel. Ich weiss noch genau, in diesem Moment erkaltete der Ofen, war das Seltsame nicht mehr komisch, trennte sich auch das Erinnerbare, blieb schales Bittersüss. Hätte ich vor Jahren vielleicht noch darüber lachen können, widerte nun alles an, legte ich mich nun kommentarlos abseits auf ein Sofa und schlief ein. Bis heute wissen wir nicht, wie du sie hinausbekommen hast.

Am nächsten Morgen hattest du starke Kopfschmerzen. Dir fiel ein, dass die beiden vielleicht am Abend wiederkommen wollten, du warst dir aber nicht mehr sicher. Szenarien. Sie wüssten bestimmt noch, wo wir wohnten, doch sie hatten keine Telefonnummer, keine Adresse hinterlassen, keine Möglichkeit also, ihnen abzusagen, sie auszuladen mit Begründungen, wie wir sie uns noch zurechtlegen wollten. Wir konnten uns nicht einmal an ihre Nachnamen erinnern. Du hast dir vorgestellt, wie sie vor der Türe ständen und wir sie nicht öffneten. Du sprachst von Feinden, denen man sich stellen musste, und wir begannen uns auszumalen, zu üben, was wir ihnen an der Haustüre sagen würden. Rollen wurden verteilt. Beschimpfungen, Schmähungen und Gründe wurden erfunden.

Dazu schlugen wir die Türe zu. Ein kleines Spiel. Wir wiederholten, perfektionierten es. Wir wussten, wie schlimm wir waren und hatten dabei kein schlechtes Gewissen. Bald hofften wir, sie kämen wirklich. Wir variierten die Dialoge, ahmten ihre Dialekte nach und freuten uns, wenn wieder ein besonders absurder Wortwechsel gelang. Dann hofften wir wieder, es gäbe sie gar nicht, der gestrige Abend wäre nur eine Einbildung gewesen. Aber eigentlich wollten wir sie wieder treffen. Vielleicht irgendwann, irgendwo einmal auf einer Party oder in einer Bar, unerkannt, aus sicherer Distanz sie beobachtend, oder sie hinterrücks anschleichend sie zu belauschen.

Sie kamen nicht. Ihr Besuch blieb uns bis heute erspart. Wir hatten damals den ganzen Vormittag für diese Begegnung geprobt, konnten uns aber auf keine uns gleichermassen zufriedenstellende Version einigen. Du hast sie noch “die Nachtkletten” genannt und dann bald vergessen.